Das Feuer von Konstantinopel
fertig! Der wacht schon wieder auf!“, befahl Olga. Sie war an der Türe stehengeblieben.
„Ich bleibe hier“, sagte Felix.
„Mach’ hinne oder ich ruf’ die Schankkellner. Die werden mit dir dann schon fertig!“, schnauzte Olga ihn ungeduldig an.
„Baptist, kannst du mich hören?“, wollte Felix wissen. „Ich habe dir etwas mitgebracht. Baptist...!“
Keine Antwort. Behutsam legte Felix ihm einen Apfel in die leblose Hand.
„Ich komme wieder...bald!“, flüsterte Felix und ging zurück zur Türe.
„Er ist krank, hat Fieber und braucht dringend Hilfe!“, sagte Felix zu Olga.
„Erzähl’ das nicht mir. Ich hab’ genug Ärger an der Backe!“, wehrte Olga ab.
Sie versuchte, Felix aus dem Keller zu schieben. Der drehte sich noch einmal nach Baptist um. Der schlug die Augen auf.
„Verschwinde, Felix von Flocke! Ich will dich nie wieder sehen! Ich hasse dich! Du hast alles verdorben!“, rief er mit schwacher Stimme.
Schnell schloss Olga die Türe und dreht den Schlüssel herum.
„Machen Sie auf! Ich muss mit ihm sprechen! Bitte!“, verlangte Felix und pochte gegen den Stahl.
„Baptist! Ich komme wieder!“, schrie er, so laut er konnte.
Doch Olga hatte sich schon mit schnellen Schritten in Bewegung gesetzt. Über ihnen, vom Ballsaal her, donnerte das Getrampel der Tanzenden. Gedämpft durch die Kellerdecke erklang die Musik. Deutlich war die Geige von Esther zu hören. Die Polka machte sie alle wieder verrückt.
‚Den zweiten Apfel will ich Esther geben. Dafür, dass sie mich befreit hat!’, dachte sich Felix.
Tatsächlich war alles wahr, was die Apfelverkäuferin zu berichten wusste: Das Hotel ‘Giraffe’ ist von der Polizei umstellt und durchsucht worden. Als man nichts und niemanden gefunden hatte, wurde die Eingangstüre versiegelt und verbarrikadiert. Keiner kam mehr so ohne weiteres in das einsturzgefährdete Gebäude hinein. Das bedeutete das Ende der ‘Giraffe’. Aber nicht das Ende der Not, für die dieses Hotel stand. Wohin sollten die armen Frauen und Mädchen jetzt ihre Neugeborenen bringen? War es besser, sie auf der Straße auszusetzen? Bestimmt nicht.
Ausgerechnet Fräulein Romitschka kam die rettende Idee. Sie brachte den über beide Ohren in sie verliebten Kloppke dazu, ein Schild an der ‘Giraffe’ anzubringen. Dessen Bedeutung konnte von jedem verstanden werden, auch von Menschen, die nicht lesen gelernt hatten. Für die erklärte nämlich eine von Fräulein Romitschka eigenhändig angefertigte Zeichnung, worum es ging: Wer ein Neugeborenes abzugeben hatte, sollte dies im verwilderten Garten der Polizeistation tun. Dort befand sich ein kleines, vor dem Wetter geschütztes Mäuerchen, in das Fräulein Romitschka einen geplosterten Weidenkorb gestellt hatte. Hier sollten die verzweifelten Mütter ihre Kindlein legen, unbeobachtet, wenn sie schon keinen anderen Ausweg sahen.
Oh gute Welt, oh danke Fräulein Romitschka, sage ich nur.
Fräulein Romitschka verteilte dann die Kinder wie Marmeladengläser an Familien, die sich sehnlichst ein Baby wünschten und sich auch finanziell eines leisten konnten. Die Namen der Familien fand sie feinsäuberlich verzeichnet im Meldebuch des Hotels. Ein Trick von Madame Dolly. Sie nannte es lachend ihre ‘himmlische Buchhaltung’ und kassierte dafür unverschämte Summen bei den neuen Eltern ab.
Aber so schlau wie Dolly war Fräulein Romitschka schon lange. Schließlich besuchte sie – nach Abschluss der ‘Wedemann’schen Grafik- und Zeichenanstalt für Mädchen’ – ein Jahr lang die Kaiserliche Handels- und Sekretärinnen-Schule zu Zehlendorf. Ein Institut mit einem erstklassigen Ruf, bestückt mit weiblichem Lehrpersonal aus den allerfeinsten Adelskreisen weltweit.
Niemand konnte Fräulein Romitschka etwas vormachen, wenn es um Buchhaltung ging, einerlei ob sie nun himmlisch war oder nicht. Für sie war es stets das ewig gleiche unumstößliche Prinzip von Soll und Haben.
Kloppke staunte nicht schlecht über die Abgebrühtheit seiner Angebeteten und seine Liebe zu dem patenten Fräulein wuchs und wuchs, sie wuchs ins schier Unermessliche.
Fräulein Romitschka hatte aber noch mehr Ausbildungen in ihrem Leben genossen: neben Zeichnen und Buchhaltung hatte sie Lehranstalten für Kinderpflege und Haushaltsführung besucht, sie konnte Rudern und Blockflöte spielen, sprach Französisch und rechnete Algebra.
Nur die Schule der Liebe – entschuldigt bitte den Vergleich – hatte sie bisher gemieden. Mit Gefühlen
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