Das Feuer von Konstantinopel
wollte sie nichts zu tun haben, denn die unterlagen keinen Gesetzen und gehorchten keinen Prinzipien. Es gab kein Soll, es gab kein Haben, es drohte nur Chaos.
Die Liebe, so belehrte Fräulein Romitschka ihre Cousine Hedwig in einem Brief, als diese auf Rhodos einem italienischen Barbier verfiel, die Liebe komme und gehe, wie die Wolken am Himmel. So einfach wäre das. Dann legte sie noch das von Hedwig geforderte Rhabarberkompottrezept ‘Romiter Heide’ bei und klebte den Brief sorgfältig zu. Sie setzte sich ihren Hut auf, nahm ihren Schirm und brachte den Brief zur Post. Auf dem Weg dorthin fragte sie sich, wie viel Tage und Wochen das Rhabarberrezept wohl bis Griechenland brauchen würde und wie viele Rhabarberrezepte das Land am Mittelmeer wohl täglich erreichten...
Fräulein Romitschka bezog eine kleine, aber saubere Kammer genau über der Polizeistation. Die blaue Reisetasche und die ballspielende Katze, die sie aus der ‘Giraffe’ hatte retten können, waren alles, was sie bei ihrem Einzug besaß.
Tag und Nacht war Fräulein Romitschka einsatzbereit. Jedem Geräusch, das aus dem Garten, von der kleinen Mauer her kam, ging sie mit Spürsinn nach. War das nicht ein Weinen, ein Schmatzen? Waren das nicht Schritte, die sich eilig entfernten? Oft l ief sie vergeblich die Treppe hinunter, um nachzusehen, aber oft genug fand sie ein Bündel mit einem Kind darin vor.
‘ Kein Wunder, dass die Stammbäume der Armen nicht gerade in den Himmel wachsen!’ dachte das Kinderfräulein.
Hauptw achtmeister Kloppke ließ sich derweil die Akte über den Brand in der Pappelallee kommen und hatte für Fräulein Romitschka nur die traurige Nachricht, dass es keine Spur der Familie von Flocke gebe.
Bei der Du rchsicht der Akten war ihm allerdings aufgefallen, dass der Vorbesitzer des Hauses ein Mann war, den jeder nur den ‘Kardinal’ nannte. Ein Mann von äußerst zweifelhaftem Ruf...
13.
Oft träume ich von Jerusalem. Vom heiligen Jerusalem. Den Wundern, von denen man dort hört. Stundenlang beobachte ich die Wintersonne, wie sie langsam über die Hügel wandert. Dünner Schnee bleibt auf den heiligen Stätten zurück. Der Fuchs schleicht über den Ölberg. Er trägt sein Winterfell und seine Augen tränen bei kaltem Wind. Spuren bleiben zurück, bis die Sonne den Schnee wieder schmilzt. Ich habe Zeit, denn es ist ja nur ein Traum. Durch die Gassen drängen die Bettler. Ihr könnt mir glauben, wenn ich euch sage, dass es die Armen sind, die den Armen geben. Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz. Die Reichen beobachten die Bettler fasziniert. Manche spielen mit dem Gedanken, sie wären selbst missgebildet und in Lumpen gehüllt, angewiesen auf ein Almosen, ohne ein Dach über dem Kopf und wie Aussätzige behandelt. Diese Vorstellung weckt in ihnen ein unheimliches Kribbeln mit dem sie weitergehen. Für den Bruchteil einer Sekunde sind sie ihrem Schicksal dankbar dafür, dass es Besseres für sie vorgesehen hatte. Aber bereits nach einer Minute haben sie sich selbst schon wieder davon überzeugt, ihr Glück ehrlich verdient zu haben.
Sind die Bettler denn selber Schuld an ihrem trostlosen Dasein? Büßen diese armen Menschen zu Recht? Wo sind die Wurzeln ihres Reiches?
Gott, wer hat den dummen Geldsäcken nur so viel Sand in die Augen gestreut?
Sand vom heiligen Berg Sinai ist es jedenfalls nicht.
Also Menschen: Spendet Gutes, spendet Gutes...!
„Sehen Sie nur, Mama, ich habe den Wald fast fertig!“, freute sich der kleine Prinz.
„Sitz’ bitte still, Liebling!“, antwortete ihm die Kaiserin und fuhr damit fort, sein Haar zu bürsten.
„Nur die Figuren fehlen noch! Und die Geschichte, die fehlt auch...!“, stellte der Prinz traurig fest.
„Oh, ich bin mir sicher, da wird dir etwas Schönes einfallen“, sagte die Kaiserin geduldig und strich weiter mit der silbernen Bürste durch das seidige Haar ihres Sohnes. Die Hofdame beobachtet sie dabei mit einem milden Lächeln.
„Darf ich die Figuren dann auch selber basteln?“, fragte der Prinz.
„Du weißt doch, mein Sohn, du darfst keine Schere anfassen. Stell’ dir vor, du schneidest dich. Selbst die kleinste Wunde kann ein großes Unglück bedeuten. Du bist krank. Aber wenn du gesund bist, dann...!“
„Ja, ich weiß!“, unterbrach der Prinz seine Mutter und sah traurig auf sein Figurentheater, das bis jetzt nur aus einem Bühnenbild bestand: einem märchenhaften, dichten, grünen Wald aus Pappe, der unheimlich war, aber auch
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