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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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zusammengestoppelt, man hatte wohl Bilder
aus früheren Produktionen übernommen, der Sketch mit den Liebespaaren aller
Nationen war, besonders was das deutsche betraf, etwas gemildert — nun, was
konnte man im dritten Kriegsjahr Besseres verlangen. In der Pause brachte man
mir ein zusammengefaltetes Stück Papier. Ihre Schrift: »Mon cher ami, ich habe
Ihren Inkassozettel erhalten und er erschien mir wie der schönste Liebesbrief.
Sie haben mich ebensowenig vergessen, wie ich Sie. Wie schön. Liebesschulden
sind Ehrenschulden — hat das nicht einmal — lang, lang ist’s her — eine
gemeinsame Bekannte gesagt? Gegenüber der ›porte des artistes‹ finden Sie ein
kleines Bistro. Warten Sie dort auf mich, ich werde mich beeilen. Gilberte, l’instrument.«
    Nach der Vorstellung war ich in
dem Bistro. Ich nahm mir nicht die Zeit mich hinzusetzen. Ich stand hinter der
Glastür mit meinem Calvados und starrte auf die Bühnentür. Warum hatte ich
damals nicht versucht, sie wiederzusehen? Ich wußte es nicht mehr. Es kam wohl
anderes dazwischen. Draußen verhandelten die Huren des Quartiers in den
abgedunkelten Straßen mit den wenigen zugelassenen abgeblendeten Fahrzeugen,
die gespenstisch vorüberhuschten, mit den Landsern. Schrill drangen ihre
Stimmen bis zu mir: »Komm deutscher Soldat, komm fick-fick... Camerade gut Fick...«
    Ich sah sie aus der Bühnenpforte
kommen, über die Straße eilen... ich trat aus der Tür des Bistros und stürzte
ebenfalls auf die Straße. Wir trafen uns in der Mitte, genau vor dem Kühler
eines kurz gebremsten Wehrmachtswagens, mit einem sächsisch schimpfenden
Fahrer. »Du hältst die ganze deutsche Kriegsmaschinerie auf«, sagte ich. Wir
gingen eng umschlungen zur Metrostation. Wir sprachen kaum, drückten uns nur
aneinander. Man sprach damals nicht laut in der Metro. Sie hatte meine Rosen im
Arm. Wir gingen zu ihr. Sie wohnte wie eine Pariserin wohnt, die nicht schlecht
gestellt ist, aber auch nicht im Luxus lebt. Einige schöne Stilmöbel, die
unvermeidliche Seidentapete, etwas verwohnt. Im Wohnzimmer ließ sie mich
allein. Mein erster Blick suchte den Bücherbord. Wenn man einen Menschen nicht
genau kennt, verrät, ja entlarvt ihn seine Lektüre. Proust, die »Recherche...«
Einige Sprachlexika (noch immer Sprachstudentin, Gilberte?). Ach ja, Vercors
»Le silence de la mer« (ein Geheimdruck), Romane des Amstel- und
Querido-Verlages... deutsche Emigrantenliteratur... Aber hier: Hitlers »Mein
Kampf« und Goebbels »Die Zeit ohne Beispiel« (Tarnobjekte?). Sie kam. Sie hatte
nur einen Morgenrock an und bemühte sich gar nicht, ihn geschlossen zu halten.
Sie war — bis auf die schwarzen Strümpfe — nackt. Nur der Hüftgürtel mit den
Strumpfhaltern setzte seine beziehungsvollen Zeichen. Wir hielten uns nicht
lange auf. Sie zog mich ins Schlafzimmer.
    Unbeschreibliche Liebesnächte sind
immer unbeschreibbar. Nur soviel: Hier gab es kein erotisches Spiel, keine
Lockung und Verführung sondern nur (nur?) leidenschaftlich angespannte Kraft.
Auch die intimste Zärtlichkeit war nicht amourös. Alles Gefühl setzte sich
unmittelbar in eine funktionsvolle Kinetik um, die atemberaubend war. Verlangen
und Begierde wurden zu einem Motor, der mit höchster Tourenzahl lief. Kann eine
klingende Stahlfeder erotisch vibrieren? Sie kann, Gilberte konnte. Der Trieb
wurde zum Antrieb. Das war eine andere, eine ungewohnte Lust, fern von allen
schwülstigen Lustvorstellungen, von Rausch und Benebelung, sachlich, aber nicht
seelenlos, frei von kopflastiger Sentimentalität oder Gefühlsüberschwang. Es
war Sexualität, aber saubere, chemisch gefilterte, tausendfach raffinierte
Sexualität, die keines erotischen Gleitöles als Stimulanz bedurfte: eine
Sexualität des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie war wirklich ein Instrument,
dessen Schönheit in dem Zwecke lag, für den es geschaffen war. Sie hatte recht,
als sie sagte, sie sei eine professionelle Frau, ein Geschlechtswesen aus Beruf
und Berufung.
    Zwischendurch kam Luftalarm. Ich
fuhr hoch, aber sie zog mich wieder in sich. »Das gilt nicht uns«, flüsterte
sie heiser, »das sind heute die Fabriken in Billancourt.« Sie biß sich auf die
Lippen. Aber ich hatte nichts bemerkt. Zu dem Zeitpunkt jedenfalls nicht.
    Es gab wohldisponierte Pausen. Wir
rauchten gemeinsam eine Zigarette.
    »Nun«, fragte ich, »hast du
inzwischen einen echten Nazi kennengelernt?«
    »Doch, ja«, sagte sie leise, »es
ließ sich leider nicht vermeiden.« »Sie blickte mich

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