Das Filmbett
Bombenüberfälle auf Flugplätze,
während sie in dem Offizierskasino noch heimatliche Heiterkeit zu verbreiten
suchte. Schlechte Unterbringung in Wehrmachthotels und improvisierten
Quartieren, Seidenbetten in Luxusherbergen und schmutzige Matratzen in
Massenunterkünften. Militärische Essensrationen in Kantinen, im Freien an der
Gulaschkanone — man war ja Wehrmachtsgefolge — , und friedensähnliche
Galadiners bei Parteifunktionären. Bonzen und honorable Kollaborateure,
Quislinge in Norwegen, Laval-Anhänger in Frankreich, wechselten sich ab. Man
hatte ein trostloses Gastspiel am Weihnachtsabend absolviert, von Breslau aus
im sorgfältig verhängten Wehrmachtsomnibus kommend. Man spielte in der Baracke
der SS-Wache einer höchst geheimen Waffenfabrik — wie es hieß — , von der der
eine nur noch wußte, daß es dort infernalisch stank und der andere, daß es
Auschwitz hieß oder ähnlich. Den Namen des bedeutungslosen Ortes konnte man
wirklich rasch vergessen, er gab dem Conférencier höchstens Gelegenheit, zu
einigen auschwitzlosen Kalauern.
In Wehrmachtszügen hatte man
Tieffliegerangriffe erlebt und gelernt, sich auf den Boden des Abteils zu
werfen oder sich aus den Waggontüren des plötzlich haltenden Zuges an dem
Eisenbahndamm heruntergleiten zu lassen, um im Straßengraben oder Randgebüsch
Deckung zu finden.
Nun war man von einem Gastspiel am
Soldatensender Belgrad kommend und der Lilli Marleen reichlich überdrüssig, im
Zug nach Athen. In Nish waren vor die Lokomotive einige offene Transportwaggons
rangiert worden, die ersten blieben leer, um eventuelle Minen vorzeitig zur
Explosion zu bringen, auf dem letzten war ein Kampfpanzer stationiert, der
seine Kanone bewegte, wie eine Schnecke ihre Fühler.
Nach Üsküb, Skopje, kam man in das
gefürchtetste Partisanengebiet, das Wardartal entlang durch die beiden
Mazedonien, in denen bulgarische Freiheitskämpfer mit den jugoslawischen
Freischärlern Titos und diese mit griechischen nationalen und die wieder mit
kommunistischen Guerillas kämpften, und alle zusammen, die nationale EDES und
die kommunistischen EAM einen unerbittlichen Krieg gegen die deutschen
Okkupationstruppen und ihren Nachschub führten.
Wieder gab es Aufenthalt. Rechts
sah man die Reste einer kleinen halbzerschossenen Bahnstation, auf Nebengleisen
einige ausgebrannte Eisenbahnwagen, deren Stahlgerippe bereits rostbraun
gefärbt waren, auf der anderen Seite stand eine dichte Waldgruppe vor dem
Hintergrund verkarsteter Höhenzüge. Maschinengewehrsalven und Flintenschüsse,
Handgranatenexplosionen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bahnhofsruine
erhob sich plötzlich helles Kindergeschrei. Zerlumpte Halbwüchsige streckten
Eier und magere Hühner zum Kauf oder Tausch an die Fenster des Abteils. Auf der
einen Seite des Zuges herrschte Krieg, auf der anderen ein fragwürdiger Friede.
Oder war es eine Falle? Sollte man sich unter die Bänke verkriechen, um einer
Maschinengewehrsalve zu entgehen oder die Fenster öffnen, um einen Gütertausch
vorzunehmen, denn die Reise endete schließlich in einem Hungergebiet... Als
hätte sich nichts ereignet, setzte der Zug plötzlich seine Fahrt fort, mal
schrittweise langsam, mal schneller, wie ein furchtsames Kind nachts im Wald.
Man fuhr durch Thessalien, ließ
Saloniki hinter sich, fuhr das Tempetal entlang, wo im Flußbett einige
englische Kampfwagen verlassen standen wie Elefanten im Wasser. Beim
Olympiagebirge kam man ans Meer — oder war es umgekehrt? Dauerte die Fahrt zwei
Tage oder drei? Man wußte es nicht. Irgendwann nachts mußte man den Zug
verlassen, stieg in holzgasgetriebene Omnibusse um, die keuchend und stotternd
versuchten, so schnell wie möglich über die Bergpässe zu gelangen. Aussteigen
und Halten war verboten: Typhusgebiet. In der dunklen mondlosen Nacht hörte und
sah man nichts von den in Wahrheit gottverlassenen Ortschaften. In Larissa
stieg man wieder in den Zug, es wurde wieder Tag und irgendwann kam man in
Athen an.
Der Empfang des
Truppenbetreuungsensembles durch die »Kraft durch Freude«-Organisation in Athen
war alles andere als emphatisch. »Sind denn die in Berlin im Arsch verbohrt«,
wetterte der Kulturoffizier in der Universitätsstraße im rüden Landserton,
»schicken uns noch anderthalb Dutzend Fresser. Wissen die nicht, daß wir hier
Hungersnot haben, Hungersnot, wissen Sie, was das bedeutet«, meinte er zum schweigsamen
Tourneeleiter. Trotz seiner brüsken Kritik der
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