Das Filmbett
mehr möglich war. Die Ernährungssituation
und die klimatischen Gegebenheiten, die Hitze und die ihr kaum gemäße
Soldatenkost verringerte laufend die Sollstärke des Ensembles, erzwang
einschneidende Programmänderungen durch gastrische Beschwerden und
Erkrankungen. Ganze Nummern fielen aus, waren durch weitere Mehrfachauftritte
eines Solisten nicht mehr auszugleichen. Kurz, es gelang ihm, mit Unterstützung
der einflußreichen Herren des Marinestabes und der Kasinoleitung, beide Truppen
förmlich zu koordinieren. Man schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Das
kleine deutsche Ensemble wurde personell verstärkt und eignete sich nun auch
für eine größere Abspielbasis. Denn die typisch deutschen Darbietungen traten
in einem erweiterten Tanz- und Gesangsprogramm mehr in den Hintergrund. Nun
wurde auch für die italienische Militäradministration mit ihren auf dem
Peleponnes und den Ägäischen Inseln verstreuten Heeresteilen das Unternehmen
plötzlich interessant. Außerdem versprach man sich innenpolitische Vorteile für
die immer schwieriger werdende Kollaboration bei der zum größten Teil
renitenten und resistenten Bevölkerung.
Je mehr sich die Beziehung der
Okkupanten mit der Population polarisierte, um so enger verschmolzen die beiden
Truppen von Helena und Irene.
Und damit ist höchste Zeit, von
einer Figur zu sprechen, die im Folgenden eine zunehmende Rolle zu spielen
beginnt. Irene war das Käpt’n-Girl der von den übrigen Bühnenkollegen so
verachteten Kollektivgruppe der »Huppdohlen«, der Tanzgruppe, die schlicht aus
einem Doppelquartett und einer Anführerin bestand, die gleichzeitig Solistin
war. Blutjung noch und rein zufällig von ihren ostpreußischen Eltern nach der
griechischen Friedensgöttin Eirene getauft, war sie energisch, ostisch-stur,
eine Kämpferin für den Frieden und die Belange und Rechte ihres wenig
geschätzten Berufes, und gegen jede Autorität außer der eigenen. Sie
bezeichnete den Krieg für geradezu blödsinnig und die, die ihn angefangen
hatten als von allen Göttern verlassen — wogegen wenig einzuwenden war, auch
wenn sich ihre insterburgische Formulierung dieser Behauptung weniger klassisch
anhörte, sondern eher dem Sprachschatz eines kaschubischen Pferdeknechtes entsprach.
Sie war eine ausgezeichnete und
ehrgeizige Tänzerin — worauf es hier zwar letztlich nicht ankam — , fleißig,
hielt Disziplin in ihrem Haufen, ersetzte völlig die in Berlin verbliebene
Choreographin, und wurde später, Jahre danach, selbst eine solche bei einem
seltsamen Medium, an das man damals noch kaum ernsthaft zu denken wagte, bei
der Television, die der Berliner spöttisch zum Deutschen Tellerwisch’n
umformulierte.
Wann diese immer enger werdende
Freundschaft begann, ist nicht genau auszumachen. Sie entstand irgendwie durch
eine Initialzündung und wuchs stetig. Dabei ergänzten die beiden sich
eigentlich nicht, wie das meistens bei Mädchenfreundschaften üblich ist. Sie
waren beide überaus zielstrebig, hatten feste Ansichten, wußten, was sie wollten,
waren illusionslos realistisch und überhaupt nicht sentimental.
Das Siegel ihrer Lippen brach
erst, nachdem sich eine immer stärker werdende Vertrauensbasis gebildet hatte,
in einer Vollmondnacht auf der Akropolis, zu der Helena Irene wohl nicht ohne
Absicht über die Propyläen hinaufgeführt hatte. Sie waren an der Tafel
vorbeigegangen, auf der der größte Feldherr aller Zeiten seinen Soldaten
verkündete, daß seine siegreichen Feldzüge es waren, die ihnen die einmalige
Gelegenheit gaben, diese großen Menschheitsstätten zu besichtigen und sie ihrem
Schutze empfahl. (Es war eine billige Imitation der Proklamation Napoleons an
die Franzosen vor den Pyramiden: »Vierzig Jahrhunderte blicken auf euch herab...«)
Tagsüber wurden die Grenadiere Hitlers in kleineren und größeren Herden auf der
Akropolis herumgetrieben wie die Schafe von Kleinbauern, ohne daß die
siegreichen Kämpfer für die Kulturdenkmäler irgendein Verständnis aufbringen
konnten. Nun, nach dem Zapfenstreich holten sie nach, was sie bereits am Besichtigungstag
bevorzugt getan hätten, statt die »ollen Klamotten« abzuklappern. Ruinen hatten
sie schließlich genug zu sehen, was ein sächsischer Grenadier so formulierte:
»Ich hädde mich liewer uffs Ohr gelecht und an der Matratze gehorcht...«
Nun schnarchten sie in ihren
Quartieren und Kasernen und dachten sicher weniger an Großdeutschland als ihr
Führer in der Wolfsschanze.
Helena und Irene
Weitere Kostenlose Bücher