Das Filmbett
Variante, die man kreolisch »manger le blanc« nennt, und betrachtete es immer noch als lustvolle Ehre, von Weißen zu galanten Diensten erwählt zu werden. In ihrem drolligen Englisch meinte sie: »Sure, black is beautifull - but white better.« Auf ihre Neigung angesprochen, meinte sie verschmitzt, sie käme vielleicht als Ahnenerbe aus einer Zeit, wo Christobal Colombo ihre Vorfahren für Menschenfresser - Kariben gleich Kannibalen - hielt, oder auch nur von der Jugendzeit, wo das Vergnügen, an einer Lakritzenstange zu lutschen, das höchste Glück auf Erden war, oder schließlich, weil die armen Sklaven viele Jahrzehnte lang unter der Peitsche ächzend ihren Hunger an einem Zuckerrohr kauend gestillt hatten.
Als Tochter eines musisch begabten Volkes beschäftigte sie sich künstlerisch, aber nicht wie viele ihrer Landsleute mit naiver Malerei, sondern als Tänzerin. Ihr Künstlername war Timar, was kreolisch Petite Marie bedeutet.
Sie tanzte schon in frühesten Kinderjahren beim dörflichen Voodoo mit, und später demonstrierte sie das, was man den amerikanischen Karibiktouristen als Voodoo verkaufte: die gefällige kommerzielle Säkularisation dieses afrikanischen Geheimkultes. Ihre berufliche Karriere begann am Cap auf einer verrotteten, halb gestrandeten Barke im Hafen, die zu einem billigen Vergnügungsetablissment für einfache Fahrensleute umgebaut war und halb Seemannskneipe, halb Hafenpuff darstellte. Später war sie Mitglied einer Folkloretruppe, die den Babbits aus dem amerikanischen Mittelwesten verkitschte Volkskunst darbot. Immerhin offerierte sie in echter oder vortrefflich gespielter Voodoo-Trance mit wilden Zuckungen, die Beine am Boden ekstatisch gespreizt, den Körper halbnackt hektisch emporgeworfen, den zahlreichen Amateurfotografen der Musikdampfer viele erfreuliche Bildmotive.
Später lernte sie - außergewöhnlich schnell - alle karibischen Folklore-Tänze, den Limbo, Mambo, Calypso, wurde von einem kleinen Manager entdeckt, kam nach Port au Prince, tanzte dort sogar im Habitat LeClerc, dem teuersten und elegantesten Hotel der Welt im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre. Dann ging sie nach Havanna, in das Cuba Battistas, hatte im dortigen berühmten Tropicana Erfolg und wurde so etwas wie ein Star in dem damaligen Weekend-Sündenbabel des amerikanischen Wohlstandsbürgers. Aus der Karibik, aus Nassau auf den Bahamas, holte man sie nach Birmingham und Liverpool in die alten angelsächsischen Music-Halls, dann war sie plötzlich in London im EMPIRE und schließlich in Paris, wo sie erst im LIDO, später in CRAZY HORSE auftrat. Das waren die Stufen ihrer Show-Karriere, die sie unberechnend auch mit den Wohltaten ihres Leibes bezahlte, ohne dabei an selbstverständlichem Stolz als freie Bürgerin der ersten Negerdemokratie der Welt einzubüßen.
Marie Galante stellte in seltener Komplexheit dar, was im internationalen Showgeschäft längst aufgespalten war: die Einheit eines sich vor einem Publikum künstlerisch produzierenden weiblichen Geschlechtswesens. Feminismus hin, Feminismus her - sie war innerlich und äußerlich Schau- und Sexualobjekt und war stolz darauf. Sie war - beileibe nicht aus materiellen Gründen, sondern aus Berufung - eine hochqualifizierte »ehrbare« Dirne. Hier war noch vorhanden, was Wert und Reputation der griechischen Hetäre und heute vielleicht noch mit Einschränkung das gesellschaftliche Prestige der japanischen Geisha ausmachte. Sie unterschied sich dadurch von der luxusverwöhnten Lebedame wie von dem einzig profitorientierten Straßenmädchen oder der feilen Weibsperson, für die der Beruf der Künstlerin, Sängerin oder Tänzerin lediglich als Deckmäntelchen und Alibifunktion dient. Darbietung ihrer körperlichen Fähigkeiten und deren Hingabe gingen bei ihr noch unverfälscht zusammen und fügten sich zu ungebrochenem, konfliktlosem Naturell.
Ich könnte sie mir nicht als Mätresse, als femme entretenue eines französischen Granden des Ancien regime vorstellen, deren Hauptaufgabe es war, ihren adeligen Souteneur zu ruinieren, eher schon im revolutionären Gesellschaftscercle des Bürgers Danton oder der Madame Tallien, am besten aber am Hofe des genialen, jedoch dem Wahnsinn ausgelieferten Negerkaisers Jean Christophe im Sanssouci am Fuße der »Bischofsmütze«, dem Gebirgsstock am Cap Haitien, als Frau eines Marquis de Marmelade, eines Duc de Limonade oder wie immer die Adelstitel dieses sagenhaften Potentaten hießen. Aber sie war alles
Weitere Kostenlose Bücher