Das Filmbett
in die Vollen. Sie schenkte ihm und sich nichts. Und es wäre zweifellos zu einer neuen Verwicklung gekommen, als es ihr und ihm kam, wäre nicht auch Ann gekommen, just in diesem Augenblick und zwar durch die Tür. Sie platzte - wie verabredet - in die Seance, nur eine Viertelstunde zu früh. Mit innerem Bedauern gab Margret ihr Portefeuille an ihre Schwester ab und wollte sich zurückziehen. Ann aber ließ ihr Kleid fallen und meinte, den Blick fest auf den völlig konsternierten Freund gerichtet, großmütig: »Wenn du schon da bist, kannst du auch da bleiben«, stieg zu dem Treulosen ins Bett und nahm ihn ihrerseits in die Mangel. Er hatte nichts zu lachen und wenig zu sagen. Beide Schwestern koordinierten ihre Interessen und ließen ihn erst aus der Pflicht, als er längst innerlich bereut hatte, mit einer von beiden angefangen zu haben.
In der nächsten Zukunft arrangierte man sich gütlich und teilte ihn schwesterlich Halbe/Halbe.
Der Firmenchef ihres Freundes war jedoch erstaunt, als dieser um eine Versetzung aus Paris in die Leitung einer Filiale in Marseille ersuchte.
Dem Beleuchtungsingenieur Margrets blieb die Erhellung der etwas komplizierten Umstände bis zuletzt versagt.
Die wilden Mädchen von Ascona
Eine Romanze aus den zwanziger Jahren
Dem Andenken an die Tänzerin Niddy Impekofen
1
Ihr schmales Handgepäck stand noch da, wo es der italienische Hausdiener nachlässig und schläfrig abgestellt hatte: schräg zwischen dem Tisch in der Mitte des Raumes und der Waschkommode, in deren buntgeblümte Waschschüssel sie aus der Steingutkanne Wasser goß. Die breiten Lederriemen des abgewetzten Koffers schnürten nicht nur ihre ganze Mädchenhabe ein, sondern auch den altmodischen Regenschirm, den ihr die Tante aufgedrängt hatte. »Im Südde rechnet es aach, moi Kinnd«, sagte sie in ihrem Darmstädterischen Idiom, denn sie war eine echte Bürgerin des einstigen Großherzogtumes Hessen -, und sie hatte recht gehabt. Über Ascona ging ein Gewitterregen nieder. Das Mädchen tauchte sein Gesicht in das Waschbecken und hob es triefend gegen den kleinen Spiegel. Im St.-Gotthard-Tunnel war trotz hermetisch geschlossener Fenster von der Lokomotive Dampf und Ruß ins Abteil gekommen, in Bellinzona, wo sie umsteigen mußte, war ausgerechnet ihr Waggon außerhalb des schützenden Bahnhofsdaches geblieben und auf dem Wege zum Anschlußzug nach Locarno hatte sie ein tüchtiger Guß erwischt. Aber auch die ratternde Omnibusfahrt nach Ascona vermochte ihrem übernächtigen Gesicht, das an der harten Holzwand des Coupes der Dritten Klasse keinen Schlaf gefunden hatte, die Jugendfrische nicht zu nehmen. Nun verunzierte kein Rußfleckchen mehr ihre schmalen Wangen, von der kecken Stupsnase mit den winzigen Sommersprossen perlten die Wassertropfen, nur die Reste des schmerzenden Seifenschaumes in ihren blauen Augen ließen ihr Gesicht zu einer lustigen Clownsgrimasse werden. Aber schon mußte sie lachen, weil der vorsorglich festgezurrte Regenschirm ihrer Tante mit seiner Zwinge so impertinent nachdrücklich auf das einfache Hotelbett wies. Nein, sie war nicht prüde, sie war ein modernes Mädchen der zwanziger Jahre dieses zwanzigsten Jahrhunderts, obwohl sie mit ihren siebzehn Lenzen noch lange nicht das Alter dieses Jahrhunderts erreicht hatte. Sie war, obgleich aus gutbürgerlichem Hause, aufgeklärt, sie wußte über die biologischen Gegebenheiten des Lebens Bescheid und tat sich einiges darauf zugute. Sie hatte »Die vollkommene Ehe« gelesen und das Buch über die Kameradschaftsehe, das gerade in der Jugend Furore machte. Sie fühlte sich emanzipiert und hatte immerhin schon einen Beruf, den sie als Berufung betrachtete und der sie ganz ausfüllte. Sie war Tänzerin - o nein, keines jener Amüsiermädchen, die in Flitterkostümen und altmodischem Talmiglanz in Nachtlokalen mit Weinzwang ältere Herren zu Konsumation veranlaßten, sie war auch keine jener unnatürlichen Tanzpuppen, die in geschnürten Korsagen und plumpen Schuhen auf Fußspitzen trippelten und mit gezierten Armbewegungen die Flügelschläge sterbender Schwäne imitierten, nein, sie war keine Ballettratte, sondern Ausdruckstänzerin, Überzeugungstänzerin. Ihr Tanz war keine leere Artistik und keine pausbäckige Operettenfolklore, sondern rebellierende Weltanschauung. Und wenn das irgendwo anerkannt wurde, dann hier in Ascona, dem Fischerdorf am Lago Maggiore, das der Fremdenverkehr noch nicht zum Zielpunkt des Massentourismus gemacht hatte. Und
Weitere Kostenlose Bücher