Das Filmbett
einige Mahlzeiten vorhalten würde und sie ohnedies, wie es hier üblich war, tagsüber von billigem Obst leben wollte (wobei sie noch die Befriedigung genoß, die beiden Schlangen an ihrem Busen nicht zusätzlich zu nähren ... Nein, diese dazu noch unzutreffende Metapher war schlecht und eines gescheiten Mädchens, wie sie es war, nicht würdig). Sie kicherte und war schon aus dem Zimmer.
Ascona war in den zwanziger Jahren zweifellos einer der seltsamsten Flecken dieses Erdteiles. Ein schlichtes Fischerdorf - wir sagten es bereits -, aber bewohnt von den merkwürdigsten Leutchen der ganzen Welt. Oben, am Abhang des Ortes, hatten schon vor mehr als einem Jahrzehnt einige Sonderlinge versucht neue Lebensformen zu finden. Auf dem Monte Verità wollte man neuen zwischenmenschlichen Beziehungen einen Garten Eden schaffen. Liberalität und Toleranz sollten über die Tabus eines zusammengebrochenen bürgerlichen Sittengefüges herrschen, Freikörperkultur und Naturaposteltum schlugen hier die ersten Wurzeln, weltanschauliche Sektiererei mischte sich mit moderner Lebensphilosophie, und all dieses Streben nach neuer Ordnung hatte sein Ende gefunden in einer heillosen Unordnung, die einen faszinierenden Charme ausstrahlte. Denn alle deklamatorisch verkündeten Doktrinen lösten sich unter der Strahlkraft des pragmatischen südlichen Lebens rasch wieder auf, wucherten aus, trieben neue Knospen, verdorrten und mutierten zu anderen seltsamen Gewächsen. Hier war ein Klein-Damaskus, das manchen Saulus zu einem Paulus machte, aber die Epistel, die von hier in die Welt hinausgingen, waren keine Korintherbriefe und beileibe keine Philippiken. Denn allzu schnell floß Süffisanz und Ironie in ihre Ergüsse. Eine Korona geistvoller Spötter sorgte dafür, daß in den weltanschaulichen Fanatismus die Infusorien und die Spaltpilze des Witzes eindrangen und seinen Ernst zunichte machten. Hier las man Hermann Hesses »Demian« und bewältigte ihn als jugendbündische Pfadfinderliteratur, man las die feine Prosa des baltischen Edelmannes und schüttelreimte: »Als Gottes Atem leiser ging / schuf er den Grafen Keyserling ...«Hier tat man den ersten großen Guru der indischen Literatur, Tagore, spöttisch als Rabindranath Gangeshofer ab.
Nun, von alldem wußte unsere Bianca nur wenig, als sie sich an einen kleinen Cafehaustisch vor ihrem Gasthof setzte, ihre hübschen Beine übereinanderschlug und mit vorgegebener Sicherheit beim Kellner »un espresso, por favore« bestellte. Der Camerière - es war der Hausdiener, der ihr Gepäck auf das Zimmer gebracht hatte, er trug jetzt statt der grünen Schürze eine weiße, seine vorher so schläfrigen Samtaugen waren zu glühenden Kohlenstückchen geworden -beugte sich tief über die schöne Biondina aus Deutschland, als er ihr das aromatische Getränk servierte. Sie hatte, um ihre endgültige Emanzipation zu beweisen, eine lange Zigarettenspitze aus der Handtasche gezogen, eine »Manoli privat« in diese gesteckt und heischte mit einem Blick ihrer Veilchenaugen souverän-nonchalant Feuer. Er beeilte sich, ihr dienstbar zu sein, konnte jedoch nicht verhindern, daß seinem Mund ein anerkennendes Zischen entrann und seine Hände leicht zu zittern begannen, als sein Auge vom Zigarettenende mit der Zündholzflamme zu ihrem Oberkörper abirren mußte. Und nun wußte unsere junge Dame von Welt nicht, ob sie ihre Brust besser einziehen oder herausstrecken sollte. Sie tat also weder das eine noch das andere, wurde rot und verabschiedete ihn hochmütig mit einer flüchtig-dankenden Geste. Sie überwand ihre Verlegenheit, indem sie abwechselnd aus dem Täßchen nippte und, mit dem Ellbogen auf der Stuhllehne lässig aufgestützt, aus der Zigarettenspitze lustige Wattebäuschchen von Rauch in die Luft paffte, so wie sie es von Lia de Putti und Mae Murray im Kino gelernt hatte. (Eine spätere Zeit wird vielleicht feststellen, daß sich diese gegen jahrhundertealte Vorstellungen rebellierende Jugend recht geziert benahm und in Klischees verfiel - aber ist nicht das Schicksal jeder Revolution die Doktrin, die Masche, das Klischee, Synonyme für ein und dieselbe Sache?)
Unsere junge Tänzerin wandte sich dem Panorama zu, das sich ihr jetzt, zur Teestunde, vollentfaltet darbot: zu den Heerscharen der wilden Mädchen von Ascona, diesem ameisenhaften Gewimmel, das ein Durcheinander schien und doch bei näherem Zusehen betriebsamer Planung nicht entbehrte. Wie ein erfahrener Troupier nicht der Epauletten und der
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