Das Filmbett
deswegen hatte auch der Wirt des schlichten Gasthofes nicht mit der Wimper gezuckt, als er in ihrem deutschen Reisepaß die Profession gelesen hatte: Tänzerin, ein Wort, das sie im Meldeformular mit einem demonstrativen Ausrufungszeichen versehen hatte, was aber dem Padrone keine zusätzliche Äußerung entlockte, denn gleichmütig wurde von ihm der Zettel beiseite geschoben. Es wunderte sie, daß er ihren Namen, unter dem sie unsäglich litt, ohne Kopfschütteln hinnahm.
Neige, wie konnte man so heißen, zu welchen Scherzen forderte er heraus, und sie hatte sich längst angewöhnt, sich schnippisch vorzustellen: »Mein Name ist Neige, alle Witze darüber sind bereits gemacht!« Und dann der fatale Vorname Blanka, den sie hier in der italienischen Schweiz sofort in Bianca umwandelte und der damit an die sanfte Schwester des ruppigen Käthchens von Shakespeare erinnerte. Was sagte man dazu, Blanka, ein vulgärer Dienstbotenname, den sie ihrem Vater - er war bei Ypern gefallen und sie konnte sich kaum mehr an ihn erinnern - noch heute übel nahm. Sie hatte auch keine großen Möglichkeiten gehabt, ihrer Mutter diesbezügliche Vorwürfe zu machen, weil die Arme, durch die Hungerjahre des Weltkrieges unterernährt, während der Inflation an der grassierenden spanischen Grippe gestorben war. Aber die resolute Tante, die daraufhin die Elternstelle bei ihr vertrat, hatte sie getröstet. Die Witwe des Rendanten des ehemaligen Hoftheaters, das jetzt zum Hessischen Landestheater geworden war, meinte großmütig: »Du wirst Künstlerin werre, moi Poppelsche, un kannst dir oin ›nom de guerre‹ zulegge, des hat ma immer schon gemacht, des ist heut im Freistaat net anners, als zu inser Großherzogs Zeidde!«
Sollte sie ihren Namen russifizieren und sich etwa Neigerowa nennen, wie es die Tradition des russischen Ballettes auch von nichtslawischen Ballerinen erforderte, diese hassenswerte, verabscheuungswürdige Kunst der Unnatur, die bis 1914 gerade am Hoftheater besonders sorgsam gepflegt wurde, denn Darmstadt war vor dem Krieg fast eine russische Garnison gewesen mit seiner hessischen Prinzessin als Zarin aller Reussen und den vielen fremden Offizieren in Uniform. - »Foine Herre ware das«, sagte die Tante romantisch verklärt, »Großfürscht war das Mindeste, un mit Gold un Juwele schmisse die nur so rum, un fürs Ballett hawe die a extras faible gehawt.« -
Nun, diese Zeit des gedankenleeren, mechanistischen Balletts war wohl für immer vorbei. Das neue Hessische Landestheater war eine der modernsten Bühnen Deutschlands geworden, berühmt im ganzen Land und auch außerhalb der Reichsgrenzen, und hatte sich statt des Balletts eine moderne Tanzgruppe zugelegt, deren stolzes Mitglied Bianca-Bianca nun war, mit kleiner Gage allerdings, aber die fortlaufenden Monatsbezüge gestatteten ihr dank der neugeschaffenen Rentenmark - wie so vielen Anhängerinnen der reformierten Terpsichore -, in den Theaterferien die Wallfahrt zum Mekka der neuen Tanzkunst, Ascona, anzutreten.
Sie war nun im kurzen Unterkleid, das ihre langen braunen Beine freiließ, schlacksige Jungensbeine, die die neue Zeit als weibliches Schönheitsideal und neuen erotischen Reiz entdeckt hatte und auf die sie mit Recht stolz sein durfte. Sie versorgte ihre karge, knielange Garderobe im knarrenden Schrank, auch ihre einzige Abendrobe, ein Hängekleid mit tiefer Taille und schimmernden silbernen Fransenschnüren an Stelle des Rockes - da brach die Sonne durch die Wolken, und die Pfützen lösten sich in feinem Dunst auf. Das Mädchen war mit wenigen Schritten am Fenster und spähte, indem es sich hinter der Gardine verbarg, auf die Piazza mit den uralten Platanen, deren dichtes Laub tausendfach zu glitzern begann. Nun waren auch die Berge aus den Wolken getreten, ein Regenbogen überwölbte die Ufer, und im See brachen sich die Sonnenstrahlen - es schien, als tropfe flüssiges Gold in den Spiegel des Sees, dessen Wellen sich beruhigt hatten.
Aber wie allen Tänzerinnen war ihr die Schönheit der Natur nicht das entscheidende Erlebnis des Auges. Viel mehr zog sie die Piazza an, die sich rasch bevölkerte, als habe man nur auf den Augenblick gewartet, da das Gewitter sich verzog. Da waren sie, ihre Berufsgenossinnen, diese körperbewußte Generation von Knäbinnen, diese freimütigen Gar-çonnen - wie das Modewort lautete -, dieses Amazonenheer des neuen Zeitalters, diese weiblichen Epheben - und tiefer Kummer zog in ihr bislang so frohgemutes Herz. Zwar glich
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