Das Finale
zusammen?
Frauke kehrte von
ihrem gedanklichen Ausflug wieder zu ihrem Gegenüber zurück.
»Wie lange sind Sie
schon in Deutschland?«, wollte sie wissen.
»Eine Ewigkeit«,
wich Dottore Carretta aus. »Jahrzehnte. Sonst hätte ich keine Zulassung als
Anwalt.«
»Haben Sie Familie?«
Der Anwalt lachte
rau auf. »Jetzt werden Sie aber direkt. Jeder Italiener hat Familie. Eine große
Familie.«
»Eine Frau?
Kinder?«, präzisierte Frauke.
Ihr schien, als
würde sich Dottore Carretta für einen winzigen Augenblick in sich selbst
zurückziehen. Dann sah er Frauke nachdenklich an. Seine Augen blickten fast
traurig.
»Nein«, sagte er.
»Das ist mir nicht vergönnt gewesen. Leider nicht. Aber ich habe viele
Geschwister, und jedes von ihnen hat Kinder.« Er lachte ein wenig. »Viele
Kinder. Wenn wir alle zusammenkommen, glaubt man, ganz Italien wäre vertreten.
Mit Stolz sehe ich, wie meine Nichten und Neffen sich zu prächtigen und
erfolgreichen Menschen entwickeln. Vielleicht verstehen Sie es in Deutschland
nicht, aber es ist ein wenig so, als wären es meine eigenen Kinder.«
»Warum haben Sie
keine eigenen?«
»Das wollte der
liebe Gott nicht.«
Sie wurden durch den
Kellner unterbrochen, der das Essen brachte.
Den Rest des Abends
verbrachten sie mit anderen Themen. Der alte Mann erwies sich als gebildeter
und charmanter Unterhalter, der informativ über italienische Lebensart und
Kultur plaudern konnte. Nach einem kurzweiligen Abend verlangte Dottore
Carretta die Rechnung.
»Getrennt bitte«, bat
Frauke den Kellner.
»Aber«, protestierte
der Anwalt, »ich habe Sie eingeladen.«
»Und ich habe mit Ihnen zu Abend gegessen«, antwortete Frauke.
»›The Untouchables‹«, sagte sie und merkte an der leicht hochgezogenen
Augenbraue Dottore Carrettas, dass er sie nicht verstanden hatte. »›De
uovervindelige‹«, fügte sie fast vergnügt auf Dänisch hinzu. Mochte der Anwalt
selbst feststellen, dass die deutsche Polizei unbestechlich war. Mit Ausnahme
Bernd Richters, dachte sie.
Die drei Gläser
Rotwein, die sie getrunken hatte, waren nach objektiven Maßstäben zu viel.
Dessen war sich Frauke bewusst. Wider besseres Wissen fuhr sie dennoch mit dem
eigenen Wagen zu ihrer Wohnung zurück. Sie hatte Glück. Nicht jede Frau in
herausragender Position, die Wein in Hannover getrunken hatte, wurde entdeckt.
Beim Betreten des
Treppenhauses und der Wohnung ließ sie Vorsicht walten. Aber es gab keine
Auffälligkeiten. Und sicher war es der Erschöpfung zuzuschreiben, dass sie sehr
schnell in einen tiefen und traumlosen Schlaf fiel.
VIER
In der
Nacht musste es geregnet haben. Der Himmel war wolkenverhangen. Ein tristes
Grau lag über der Stadt. Auf dem Asphalt glänzte der Wasserfilm.
Im Landeskriminalamt
lagen keine neuen Ergebnisse vor. Die Auswertung der in Braunschweig
beschlagnahmten Unterlagen würde noch eine Weile in Anspruch nehmen. Frauke
versuchte, bei der Reichenberger Immobilien Verwaltung jemanden zu erreichen,
aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter mit einem Text, dass sie
außerhalb der Bürozeiten anrief und ihren Namen sowie ihre Rufnummer auf dem
Band hinterlassen sollte.
Frauke vermied es,
ihren Mitarbeitern von ihrem Treffen mit Dottore Carretta zu berichten.
Putensenf würde das zum Anlass nehmen, um Zweifel an ihrer Teamfähigkeit zu
streuen. Madsack würde es zur Kenntnis nehmen, und Schwarczer konnte Frauke
immer noch nicht richtig einschätzen. Erneut fragte sie sich, warum er ihr mit
seiner Lüge geholfen hatte. Sicher – sie hatte keinen Zweifel an seiner
Loyalität, dennoch wirkte der verschlossene junge Kommissar geheimnisvoll. Sie
hatte einen Entschluss gefasst, stand auf und ging in Putensenfs Büro.
»Ich möchte, dass
der Kollege Schwarczer den Raum mit Ihnen teilt«, sagte sie ohne jede Vorrede.
»Was?« Putensenf sah
sie aus großen Augen an. »Das ist nicht Ihr Ernst?«
»Es dient der
besseren Kommunikation im Team«, begründete es Frauke. Doch Putensenf war nicht
überzeugt. Er spürte, dass es eine Ausrede war.
»Das wäre Ihre
Aufgabe, besser zu kommunizieren. Und warum soll ausgerechnet ich mit dem Iwan
in einem Büro sitzen?«
»Putensenf! Wenn Sie
den Kollegen Schwarczer noch einmal als Iwan bezeichnen, hat das Konsequenzen.
Haben Sie mich verstanden?«
»Der kommt doch von
da«, murmelte Putensenf halblaut. »Außerdem heißt er Yuri. Das ist doch nicht
normal.«
»Und Sie? Jakob der
Lügner?«
»Sie wollen mir
nichts unterstellen?«, fragte
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