Das Finale
Kriminaloberrat und reichte ihr die Hand. »Haben
Sie gut geschlafen?«
Frauke hasste solche
formelhaften Fragen. Niemand interessierte sich wirklich für die Güte der
Nachtruhe seiner Kollegen. Außerdem ging es weder Ehlers noch sonst wen etwas
an, wie sie ihre Nächte verbrachte. Sie brummte etwas Unverständliches.
Der Kriminaloberrat
sah sie eine Weile über den Rand seiner Brille an.
»Ihre gestrige
Aktion in Braunschweig hat viel Aufsehen erregt. Haben Sie heute schon
Nachrichten gehört?«
Frauke schüttelte
den Kopf.
»Nicht nur die
Zeitungen berichten darüber, sondern Sie haben es sogar bis ins Radio gebracht.
Herr Eigenbrodt vom NDR Hannover hat angefragt,
ob der leitende Polizeibeamte zu einem Interview zur Verfügung steht.«
»Beamt in «, sagte Frauke betont.
Ehlers nickte
versonnen. »Das ist noch nicht in alle Köpfe vorgedrungen. Ich habe Herrn
Eigenbrodt an die Pressestelle verwiesen. Es kann nicht schaden, wenn wir
unsere Erfolge, nein, eigentlich sind es Ihre Erfolge, in die Öffentlichkeit
tragen. Das zeigt der Bevölkerung, dass die Ermittlungsbehörden präsent sind
und die Menschen sich auf die Polizei verlassen können. Und der Organisation
beweist es, dass wir uns nicht beugen. Im Interesse der Ermittlungen und zum
Schutz meiner Mitarbeiter habe ich allerdings angewiesen, dass die Pressestelle
keine Namen der beteiligten Beamten nennt.« Dann ließ sich Ehlers über den
aktuellen Ermittlungsstand informieren.
»Danke«, sagte er.
»Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.«
Frauke war erstaunt,
dass der Kriminaloberrat nicht ihre Maßnahme zur Zusammenlegung von
Arbeitsplätzen ansprach. Sie erzählte Ehlers von ihrer Anweisung.
»Ich stehe hinter
Ihren Entscheidungen«, versicherte der Kriminaloberrat.
»Es könnte sein,
dass Putensenf sich bei Ihnen beschwert.«
»Mit solchen Klagen
beschäftige ich mich nicht«, sagte Ehlers.
Zufrieden verließ
sie das Büro des Leiters.
Es war eher eine
Eingebung, dass sie beschloss, sich das Wohnumfeld des Dottore Carretta anzusehen.
Sie besorgte sich die Anschrift und fuhr in die Südstadt zum Stephansplatz.
Frauke schmunzelte darüber, dass ausgerechnet die Schlägerstraße in den Platz
mündete, an dem der italienische Advokat wohnte.
Wären die Bäume
nicht in Reih und Glied gepflanzt worden, hätte man sich fast wie in einem
kleinen Wald gefühlt. Auf Frauke wirkte die grüne Oase wie ein Idyll in der
Großstadt. Der Spielplatz und der Kiosk in der Mitte, an dem sich die Kinder
mit Eis und die Männer mit neuem Bier versorgten, gaukelten ihr das Bild einer
friedlichen Umgebung vor. Das wurde auch nicht durch das Toilettenhäuschen und
die Altglasbehälter am Rande des Areals getrübt.
Der »Wienerwald« an
der Straßenecke schien ihr wie ein Relikt vergangener Tage. Die einstmals so
beliebten Restaurants waren fast vollständig aus dem Straßenbild verschwunden.
Sie fand den
Klingelknopf mit dem Namen Dr. Carrettas. Nichts wies auf die
Anwaltstätigkeit des Dottore hin. Dabei fiel ihr ein, dass sie keinen Hinweis
darauf besaß, dass der alte Mann irgendwo eine Kanzlei betrieb. Das war
ungewöhnlich für einen Strafverteidiger. Irgendjemand musste seine Schriftsätze
ausfertigen, die Termine überwachen, Kontakte pflegen.
Das grau verputzte
Haus unterschied sich in nichts von seinen Nachbarn. » AD 1902«
über dem Eingang verriet sein Alter. Von einem der Balkone wurde Frauke
beobachtet.
Sie gab sich keine
Mühe, ihr Interesse für die Immobilie zu verbergen, und wurde dabei kritisch
von einer älteren Frau mit hochgesteckten Haaren beäugt. Die Frau erinnerte
Frauke an Gesine Schwan, die mal für das Bundespräsidentenamt kandidiert hatte
und von deren Frisur böse Zungen behaupten, sie würde auf dem Kopf ein
Vogelnest tragen.
Frauke warf einen
Blick ins schlichte Treppenhaus. Außer einem Stapel mit Bananenkartons gab es
nichts zu entdecken.
Wenig später
erschien die Frau mit einem spärlich gefüllten Müllbeutel auf der Straße, kam
auf Frauke zu und fragte: »Suchen Sie was? Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich komme allein
zurecht«, erwiderte Frauke. Sie verzichtete auf ein »Danke«, da die Nachbarin
ganz offensichtlich nicht aus Hilfsbereitschaft, sondern aus Neugierde gefragt
hatte.
»Da will man höflich
sein …«, knurrte die Blonde und trug ihren Müllbeutel wieder ins Haus.
Es war eine
gutbürgerliche Gegend, aber nichts Extravagantes. Sicher würden Carrettas
Auftraggeber anders residieren, dachte Frauke.
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