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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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überlegen, ob er den Bärtigenverrecken lassen sollte wie das Pferd: eine Kreatur, die nicht begriff, in was sie da hineingeraten war. Die starb, ohne wenigstens den nutzlosen Trost eines Sinns geschenkt zu bekommen.
    Aus den Augen des Bärtigen brannte seine Bitte.
    Greider richtete sich auf und blickte sich um. Dann hatte er offenbar gefunden, wonach er suchte.
    Er kniete sich neben den Todgeweihten, griff ihn unter den Armen und setzte ihn, an sich gelehnt, auf. Dem Bärtigen entfuhr ein Stöhnen und ein Schwall Blut, aber er verlor nicht das Bewusstsein.
    Greider drehte ihn in dem geröteten Schnee, bis sein Körper zu einem bestimmten Gipfel am hinteren Ende des Tals gerichtet war. Er streckte seinen Arm aus, sodass er dem Bärtigen eine Sichtachse wies, und zeigte auf das Gipfelkreuz. Welches einst eine grausige, mahnende Last getragen hatte.
    Zunächst verstand der Mann, der sich nur noch mit Mühe in diese Welt gekrallt hielt, nicht. Dann war ihm aus dem Verdämmern offenbar die Brücke aufgetaucht zu den lang vergangenen Jahren und dem, was damals geschehen war. Er schloss die Augen und nickte langsam.
    Greider ließ ihn zurücksinken.
    Er stand auf.
    Es waren noch neun Schuss in seinem Gewehr.
    Erst die letzten beiden fanden gnädig Herz und Stirn.
    Langsam nur hob sich der beißende, wie Metall in die Nasenhöhlen stechende Geruch des verbrannten Pulvers in die eisklare Luft, fand Schwingen, ließ sich nach oben tragen, wo er feiner und feiner wurde, sich in immer dünnere Schwaden zerdehnte, verschwand. Darunter klebte der warme, dunkler metallische Geruch der Blutpfützen im Schnee, deren Dampfen zäh erstarb. Dieser Geruch schien sich nicht von der Erdeerheben zu können, er versickerte und erstarrte mit seiner Quelle im kristallenen Untergrund.
    Der Atem Greiders und seines Maultiers waren das Einzige, was noch lebte in der unsichtbaren Kuppel aus Winterluft; das Einzige, was mit jedem Ausschnaufen eine kleine Wolke der Selbstbehauptung von sich stieß. Greider befreite das Tier von seiner grausigen Last und zerrte den toten Körper dorthin, wo die Übrigen lagen. Die Gesichter hatten bereits alle eine wächserne Blässe angenommen, sie waren dabei, kalt und starr zu werden wie das Eis um sie herum. Es lag auf ihnen der Ausdruck völliger Blödigkeit, die Abwesenheit jedes Willens, jedes Gedankens, welche der zufälligen Konstellation ihrer erschlafften Muskeln einen Sinn eingeschrieben hätten.
    Greider hatte die Männer nebeneinander geschleift, sodass sie in einer unordentlichen Reihe, mit hingewürfelten Gliedern, in ein bis zwei Armlängen Abstand auf dem Rücken lagen.
    Jenen dreien, die es nicht im letzten Schmerz selbst getan hatten, schloss er ihre Augen nicht. Sie starrten blicklos, in einem Erstaunen, das nie mehr enden würde, nach oben ins Nichts; nur der Jüngste, dessen Kopf zur Seite gewandt war, schien seine Brüder anzuschauen und mit seinem wie lallend offen stehenden Mund etwas Unhörbares zuzurufen. Der eine trug noch immer den durchlöcherten Mantel, für Greider unbrauchbar geworden.
    So ließ Greider sie liegen, wo sie finden und ihnen ein Begräbnis verschaffen sollte, wer mochte. Und sei es nur der nächste Schnee.
    Der letzte Blick, den Greider für sie hatte, war verächtlich und frei von jedem Almosen des Mitleids, war hingeworfen wie eine Münze für einen schäbigen Bettler, in dem man einen einst reichen, hartherzigen Geizkragen wiedererkannte.
    Greiders Maultier war froh, endlich wieder einen lebendigen Reiter auf dem Rücken zu spüren. Es war froh, sich wieder bewegen zu dürfen und endlich dem Gestank nach Tod zu entkommen, der ihm in den Nüstern klebte. Es schüttelte sich dankbar und ließ sich wieder auf den Weg lenken, den es zuvor gekommen war – zurück ins Innere des Tals.

XVII
    Als Greider zum zweiten Mal an diesem Tag in der Wegschneise über dem Hof erschien, war es inzwischen Mittag. Das Grau des Himmels war durchscheinender geworden, die verborgene Sonne ließ die Wolkendecke leuchten wie eine Lampe ihren Papierschirm.
    Der Hof des Brenner schien unter dieser Eisenhelle zu schlummern, bis die Finsternis zurückkehren würde, in der er sich vertrauter fühlte. Nichts regte sich dort unten, nur aus dem Kamin zog sich in die Luft als einziges Lebenszeichen der Rauch dünn und hell wie ein Strich von zügiger, sicherer Hand, der nach vielen Metern erst zu zittern begann und ausfaserte.
    Ein, zwei Minuten verharrte Greider auf der Kuppe, gab seinem Tier

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