Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Ihn trug eine seltsame Klarheit: Jetzt mussten nur noch Pulver und Blei sprechen. Alles war unwichtig geworden außer diesem einen, letzten Schuss, den er tun musste. Alles hatte sich reduziert auf zwei Männer und eine Kugel. Seine Kugel.
Da hielt er plötzlich verwundert inne, blieb wie vom Blitz gerührt stehen. Jemand hatte ihm mit dem Hammer sein Gewehr aus der Hand geschlagen.
Drei Dinge erreichten gleichzeitig sein verwirrtes Bewusstsein: dass dies entschieden nicht sein konnte, wo doch außer ihnen weit und breit niemand war. Dass, als er sich – dieser Einsicht zum Trotz – umschaute, wer das gewesen war, er zu seiner Verblüffung feststellen musste, dass er nur noch eine halbe rechte Hand hatte. Und schließlich, dass da ein Knall zu viel gewesen war. Dass aus dem Rohr der doch leeren Waffe des Fremden vor ihm Rauch aufstieg.
Bevor er diese Dinge zusammenbringen konnte, musste er sich schon wieder korrigieren und feststellen, dass es
zwei
Donner zu viel getan hatte. Aber in dem Moment drang ein scharfes Stechen von seinem Bauch aus durch den ganzen Leib, seine Brust wurde ihm mit einem Mal zu eng, es schwindelte ihn, und seine Gedanken wurden ihm zu schweren, glitschigen Steinen, die er vergeblich versuchte festzuhalten,und er beschloss, dass es gut sein würde, sich zuerst einmal niederzusetzen und Rast zu halten – aber da merkte er, dass ihn schon jemand in den Schnee gesetzt hatte, und es wunderte ihn sehr, wie das zuging.
Greider stand auf. Das Pferd spürte, wie das Gewicht von seiner Flanke wich, und versuchte, sich ebenfalls zu erheben. Aber es war zu schwach.
Greider kniete sich neben den Kopf des Tieres. Blutiger Schaum troff ihm aus dem Maul und warf aus den Nüstern rosafarbene Blasen. Seine Augen waren weit und weiß, sein Atem ging flach und stoßweise, vom Schmerz und der Angst jeder Regelmäßigkeit beraubt. Aus der Kehle des Tiers klang ein tiefer, klagender Laut.
Greider streichelte dem Pferd den Kopf, flüsterte ihm wortferne, beruhigende Laute ins Ohr. Wieder versuchte es sich aufzubäumen und fiel kraftlos zurück.
Greider erhob sich, setzte die Mündung seines Gewehrs auf die Stirn des Tiers und drückte ab.
Dann schritt er über den Weg hinüber, wo vor dem Wagen drei Körper im Schnee lagen.
Der eine von ihnen hatte schon lange aufgehört, sich zu regen. Bei dem Zweiten versicherte er sich nur kurz, dass ihm die versiegte Blutquelle, wundersam, wirklich genau zwischen den Augen entsprang.
Von dem Dritten drang ein Wimmern.
Greider begab sich zu ihm. Der Bärtige hielt sich den Leib mit zwei Händen, von denen eine nur eine ausgefranste Ruine war, aus der die Knochen blitzten.
Der Schnee um ihn saugte durstig sein Blut auf. An der Oberfläche staute es sich zu zähen Pfützen, aber wie von einem fein verästelnden Wurzelwerk wurde es von den Kristallen zu einer immer zarter schimmernden Wolke ausgebreitet.
Der Bärtige hatte die Augen geöffnet. Auch sein Atem war flach und schwach, und es gelang ihm nicht mehr, noch Worte zu formen. Aber Greider verstand das Fragen in seinem Gesicht.
Als Erstes hielt er dem Mann das Repetiergewehr nah an den Sitz des nicht mehr weit reichenden Blicks. Er feuerte einen Schuss in die Luft und führte den Mechanismus vor, mit dem die leere, noch glühende Patrone aus der Kammer geworfen und zugleich die nächste hineingeladen werden konnte.
Für einen Moment schien der Mann in staunender Faszination seine Schmerzen zu vergessen. Er hob seine Rechte, um das tödliche Instrument zu berühren, wurde dann deren Zustand gewahr – aber absurderweise brachte ihn das nur dazu, sie wieder zu senken und mit der Linken nach dem schwarzen Holz, den silbernen Beschlägen der Waffe zu greifen.
So ein Gewehr hatte man hier im Tal noch nie gesehen, und es schien ein gewisses Bedauern in den Zügen des gegen das Delirium Kämpfenden zu liegen, dass er es erst unter diesen Umständen kennenlernen durfte.
Nachdem aber diese erste Frage um das furchtbare Wunder seines Todes auf solch irdisch-mechanische Weise geklärt war, erinnerte sich sein wegdämmernder Verstand offenbar an ein zweites, wichtigeres, tieferes Rätsel.
Ein Eifer erfasste den Sterbenden, er wollte sich aufrichten, was ihm nicht gelang, und in einem unhörbaren Wort öffnete und schloss sich flehend sein Mund, dem statt Laut nur Lebenssaft entrann, welcher in seinen Barthaaren Rinnsale bildete.
Greider verstand das Wort auch so.
Es hieß »Warum?«.
Greider schien eine Weile zu
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