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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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der Schnauzbärtige zögerte einen Moment, ohne dass sein Bewusstsein etwas mit dem zu tun hatte, was er tat, und die Mündung seiner Waffe konnte sich nicht entscheiden zwischen dem vor ihm am Boden liegenden Bruder und dem Fremden, der in der Entfernung stand und das Gewehr noch im Anschlag hatte.
    Diese Sekunde war genug, dass aus dem Lauf Greiders ein zweiter Feuerstoß brechen konnte. Der Kopf des Jungen wurde herumgerissen, als hätte ihn jemand mit einem Klatschen hinter ihm erschreckt, und dann schleuderte es seinen Oberkörper wie von einem heftigen Stoß nach vorn, flach in den Schnee, wo er schlaff, mit rot sickerndem Haupt noch ein, zwei Mal mit den Gliedern zuckte und dann reglos liegen blieb.
    Der Bruder brüllte, riss das Gewehr hoch und feuerte sinnlos in die Richtung des Fremden, der sich schon wiederin Deckung hatte fallen lassen. Seine zwei Kugeln landeten im Bauch des Pferdes, das Beine und Hals hochriss und kläglich aufwieherte.
    Dann fühlte der Schnauzbärtige, wie ihn etwas am Kragen packte, und der Ältere zerrte ihn mit Gewalt wieder hinter die Kutsche.
    Der Schnauzbärtige wischte sich immer wieder schniefend die Nase, und sein Bruder ließ ihn vorgeben, dass das nur an der Kälte lag.
    Wieder saßen sie im Schutz des von dem Wagen gebildeten Walls, in einem scheinbar unauflösbaren Patt. Aber der Tod des Jüngsten hatte etwas verändert.
    Wenn die beiden sich ansahen, dann machten sie wenig Anstalten zu verhehlen, dass sie in einer einzigen Hinsicht froh waren um diesen Tod. Nicht weil das unerträgliche Schreien jetzt endlich für immer aufgehört hatte. Sondern weil dieser Tod die Sache klarer gemacht hatte. Er hatte die letzte Unwägbarkeit, die letzte Rücksichtnahme aus der Gleichung herausdividiert. Jetzt konnten sie klar sehen, was zu tun war.
    Sie waren zwei Männer – der Fremde allein. Sie hatten vier Schuss in ihren Gewehren – der Fremde konnte nur zwei haben. Sie mussten nur bereit sein, den Preis, von dem sie schon so viel bezahlt hatten, im schlimmsten Fall noch um eins zu erhöhen. Dann gab es für die Angelegenheit nur ein mögliches Ende.
    Die Zeit des Wartens war vorbei. Sie gaben sich einen langen Händedruck.
    Geduckt schlichen sie jeder zu einer Seite der Kutsche hin. Sie hatten die Ladung ihrer Gewehre sorgfältig geprüft, hatten noch einmal die Läufe von Schnee befreit.
    Beide schnauften tief durch.
    Dann gab der Bärtige das Zeichen.
    Der Schnauzbärtige, der am linken Ende kauerte, nahm seinen Hut vom Kopf und schleuderte ihn hinaus, so weit er konnte vor den Wagen.
    Und tatsächlich hörten sie, kaum dass der Hut in die Luft gestiegen war, ein Donnern, und er wurde wie von einem plötzlichen Windstoß aus seinem Trudeln gerissen.
    Der Bärtige nahm ebenfalls seinen Hut ab, warf ihn ebenfalls über den Schneewall. Den Versuch immerhin war es wert.
    Aber ein zweiter Schuss blieb aus.
    Jetzt gab es keine Zeit zu verlieren. Die Brüder erhoben sich.
    Nicht einmal er selbst hätte sagen können, ob er mit Absicht seinen Schritt neben die Kutsche einen Augenblick später gemacht hatte als sein Bruder. Aber als der Bärtige ins Freie trat, da hatte es vor und links von ihm schon einen Doppelschlag von Schuss und Treffer getan, und er sah aus dem Augenwinkel seinen Bruder gefällt in den Schnee sinken.
    Er verbat sich, näher hinzusehen. Dieses letzte Opfer würde er später betrauern können. Jetzt galt es, alles darauf zu verwenden, dass es nicht umsonst war. Er musste losstürmen, bevor der Fremde nachladen konnte.
    Der Bärtige hatte sich seinen Plan im Kopf mehrmals genau zurechtgelegt. Einen Schuss würde er aus der Entfernung riskieren. Sollte der fehlgehen, blieb ihm noch genug Zeit, die weniger als zwei Dutzend Meter zurückzulegen und den Fremden hinter seiner Deckung zu stellen und sicher zu erlegen, bevor der wieder schussbereit sein konnte.
    Der Bärtige drückte ab.
    Er hatte hastig und schlecht gezielt, aber er hätte wohlauch sonst nicht getroffen, denn der Fremde war schon wieder blitzschnell in die Hocke gegangen.
    Doch statt ganz hinter dem Pferd zu verschwinden, stützte er seine Arme auf die Flanke des zitternden, vor Schmerz röhrenden Tiers, dessen Bauch verklebt war von einem dampfenden Rinnsal Bluts.
    Der Bärtige verschwendete im Rennen keine weiteren Gedanken an dieses seltsame Verhalten. Wollte ihm der Fremde ein besseres Ziel bieten, sollte ihm das nur recht sein. Keuchend sprang er, weit ausholend, durch den Schnee, so flink er konnte.

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