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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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gleich nachzugehen und, wenn irgend möglich, das Werk noch zum Abschluss zu bringen.
    Schließlich entschied sich die Angelegenheit dadurch, dass die obere Gruppe beschloss, einen Mann entlang der Riese hinabzuschicken, um zu sehen, was die Ursache für das Ausbleiben der beiden Stämme war. Die anderen waren nicht glücklich darüber, denn dies bedeutete, dass sie nun, erhitzt von der Arbeit, untätig und frierend in der Kälte warten mussten. Aber die Aussicht, sich dadurch vielleicht einen weiteren Tag dieser Arbeit ersparen zu können, besänftigte ihren Unmut.
    Der Abstieg war nicht ungefährlich. Zwar wurde er weniger vom Schneefall behindert, da die Rinne sich weitgehend wettergeschützt durch den Wald wand. Aber im Lauf des Winters hatte sich auch hier genug Schnee angesammelt, um über größere Flächen eine Decke zu bilden und somit den Untergrund vor dem Blick des Kletterers zu verbergen. Es war ein unsicheres Spiel, zu erraten, wie weit man sich den Hang entlang hinabrutschen lassen durfte, wie steil der Boden tatsächlich war, wo sich Steine oder Wurzeln dicht genug unter der Oberfläche verbergen mochten, um dem Fuß eine Falle zu bilden. Insofern erwartete man nicht, dass der Mann bei gebotener Vorsicht sein Ziel allzu schnell erreichen würde,auch wenn er bald über der ersten Kuppe und damit aus dem Blickfeld verschwunden war. Eine gute Viertelstunde hörte man aus dem Hang nur hin und wieder das scharfe Krachen brechender Äste und das Abgehen kleiner Schneebretter. Gespannt starrten die Männer an beiden Enden der Transportstrecke auf den Holzkanal, auch wenn sie von diesem nur wenige Meter wirklich einsehen konnten, und nur selten traute sich einer, das Lauschen durch ein paar Worte zu stören.
    Schließlich wurde ihr Ausharren belohnt. Von irgendwo aus der Mitte der Strecke erscholl ein Ruf, dessen genauer Laut unverständlich blieb, der aber offenbar anzeigte, dass die Stelle gefunden war, an der die Stämme stecken geblieben waren. Dann herrschte wieder Stille. Dann der gedämpfte Lärm irgendeiner undefinierbaren Geschäftigkeit. Dann ein erneuter Ruf, der etwas Überraschtes zu haben schien und fast wie ein Schrei anmutete. Dann noch einmal kurze Stille. Schließlich hörte man ein Knarzen, Krachen und Rattern, das unzweideutig anzeigte, dass die Stämme sich wieder in Bewegung gesetzt hatten. Die Männer oben hörten sie sich geschwind entfernen, die unten sie rasch näher rauschen. Und nur ein paar lange Augenblicke dauerte es, da kamen sie, dicht an dicht, unten aus dem Wald, sausten langsamer werdend in das letzte, sich abflachende Talstück der Rinne und krachten gegen deren massives Endstück.
    Doch noch bevor sie den Klotz erreicht hatten, da hatte schon ein Aufschreien eingesetzt unter den Männern dort. Denn sobald die Stämme über die letzte Kuppe gekommen waren, hatten die Arbeiter erkannt, dass die noch andere Fracht mit sich führten. Und schon brüllten einige, das Aufprallen der mit doppelter Wucht heranrasenden Bäume am Riesenabschluss zu verhindern. Doch wer hätte sich dieser Masse an Holz in den Weg stellen können? Und so musstensie hilflos mit ansehen, wie die Stämme ihre Reise bis zum bitteren Ende vollführten und, was sie vor sich hergetrieben hatten, dabei mit einem ekelerregenden Geräusch an das Endstück donnerten. Denn am vorderen Anschnitt des ersten Stamms hing der Körper eines Mannes, dessen Mantel und Hose zu Fetzen zerschlissen war, dessen einer Stiefel fehlte, dessen Haut an vielen Stellen auf-, an anderen gar abgeschmirgelt war, dessen Glieder in grotesker Verrenkung dahingen, dessen Brustkorb vom letzten Aufprall eingedrückt war. Und sein Gesicht, das auf einem unnatürlich locker herumrollenden Kopf saß, als wolle es endlich einmal den eigenen Rücken in Augenschein nehmen, dies Gesicht war so zerschunden und verfärbt und zu solch einer Grimasse verzerrt, dass es unter anderen Umständen nicht einmal ein Bruder hätte wiedererkennen können.
    Aber hier wussten alle, dass die Gruppe oben am Berg aus den Söhnen des Brenner bestanden hatte. Und weil der Tote, der da so zerbrochen zwischen Klotz und Stamm klemmte und der noch warm genug war, dass die Flocken des Schneegestöbers auf seinen Wangen schmolzen, noch erkennen ließ, dass er auf diesen Wangen keinen Bart hatte, begriffen es alle gleich: Was ihnen die Bäume da mit ins Tal gebracht hatten, das war der Jüngste vom Brenner.
    Kurz darauf hallte ein neuer Klang durchs Tal. Klar und hell und

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