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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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schlimme Nachricht zu überbringen. Und war ihnen zuvor schon das Entsetzen und die Trauer über das Geschehene in die Gesichter geschrieben gewesen, so hatte, was immer sich hinter der Tür des Brenner-Hauses abgespielt hatte, noch einmal neue Spuren der Erschütterung und Sorge hinzugefügt. Offenbar war es ihnen nicht gelungen, den Vater dazu zu bewegen, daheim in seinem Schmerz auf die Rückkehr der sterblichen Hülle des Jüngsten zu warten. So schwach er ohnehin auf den Beinen war, und so schwer ihn dieser Schlag getroffen hatte: Hier saß er, wie eine Statue seiner selbst, gegen Kälte und Schnee in Felle gehüllt wie damals zur Mitternachtsmette, aber ohne festliche Fackeln, ohne einen großen Zug seiner Leute als Geleit.
    Dennoch gebot er Ehrfurcht. Sobald die Ersten erkannt hatten, wer da ankünftig wurde, bildete sich eine Gasse in der Menge, dass die beiden Reiter und der Schlitten ungehindert bis zu der Stelle vordringen konnten, an der der Tote auf seiner improvisierten Bahre lag, und die Leute verstummten, nahmen ihre Hüte von den Köpfen vor die Brust und senkten die Häupter – aus Respekt vor dem Verlust, den der Brenner zu tragen hatte, aber auch um nicht direkt in das knochenweiße Gesicht und die mit Trauer und Hass brennenden Augen sehen zu müssen.
    Als er an seinem unersehnten Ziel angekommen war, zerrte er ungeduldig die Felldecken von seinem Leib und schwang die Füße auf den Boden, noch ehe seine Söhne Zeit gehabt hatten abzusteigen und ihm zur Hilfe zu kommen. Als sie bei ihm anlangten und ihn zu stützen versuchten, ließ er sich von ihnen auf die Beine helfen, doch dann scheuchteer sie mit einer zornigen Geste weg und wankte, den Blick schon starr auf den Körper im anderen Schlitten gerichtet, Schritt für schweren Schritt den kurzen Weg voran. Seine beiden Ältesten sahen sich ratlos an und blieben an seiner Seite, um ihm nötigenfalls beistehen zu können. Der Gang des Brenner wirkte, als hätte er ein Joch auf den sich vom alterskurzen Atem hebenden und senkenden Schultern. Aber da war auch ein Willen, der sich aufrichtete und ankämpfte gegen das ihn zurückhaltende Gewicht, der wusste, was getan werden musste, und entschlossen war, es zu tun. Sein Blick heftete sich unverwandt nach vorn auf den Toten, und auch wenn der Bauer mit jedem Stück, das er diesem näher kam, ein grausiges Detail ums andere mehr erkennen musste, so zuckte er nicht zurück, ja, blinzelte kaum. Sein Ausdruck wurde dabei nicht etwa verzweifelter, sondern starrer, erfrierend von einem inneren Zorn. Als sammle er mit jedem neuen Eindruck von der Leiche ein weiteres Beweisstück gegen einen ungerechten Gott, mit dem er später Gericht halten würde.
    Schließlich erreichte Brenner den Schlitten und ließ sich auf dessen Kante nieder. Es war grabesstill auf dem Marktplatz. Der Alte fasste, ohne Ekel und Scheu, ein wenig tatternd nur von seinen Lebensjahren, das Gesicht seines Jüngsten und wendete es zu sich. Und nur als er spürte, dass der Hals keinen Widerstand bot, konnte man ein kurzes, erschrockenes Aufzucken beobachten. Aber das dauerte nur einen Augenblick, und dann gab der Brenner einen trockenen Kuss auf die tote Stirn, bettete den Kopf wieder auf dem inzwischen froststarren Mantel, strich dem Heimgeholten über die Haare und erhob sich.
    Er sah die Umstehenden an, als bemerkte er sie jetzt zum ersten Mal. Aber nun war es vollends ein entschlossener und herausfordernder Blick, einer, vor dem die Leute zurückwichen,weil er sie provozieren zu wollen schien, durch irgendeine unachtsame Geste, ein falsches Wort nur, ein Ziel zu bieten für die unheilige Wut, die in dem Alten gärte. Man hätte ihn in seinem dunklen, schweren Pelzmantel für einen verwundeten Bären halten mögen, angeschlagen, aber dadurch umso unberechenbarer. Er musterte finster die in seiner Nähe stehenden Leute, als wolle er sich jeden Einzelnen einprägen.
    Dann gab er seinen versammelten Söhnen in barschen, knappen Worten den Befehl, ihn wieder zum Hof zu fahren, und dorthin auch den Jüngsten zu bringen, um ihn aufzubahren. Sein Gang zurück zu seinem Schlitten, bei dem er sich nun auch von den Älteren helfen ließ, war geschwinder, und als er darauf Platz genommen, sich in die Felldecken gehüllt hatte und das Gefährt sich schließlich in Bewegung setzte, da kam auch Bewegung in die Menge.
    Die einen zog es jetzt wieder nach Hause oder zurück an ihre Arbeit, in den anderen, besonders jenen, die in den hinteren Reihen

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