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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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zählbaren Tagsetzte. Die Bauern hatten den Einbruch des Frühlings, der fern und ungenau, aber doch sicher vor ihnen stand. Und auch Greider schien etwas zu haben, auf das er wartete. Ein Zeichen, ein Ereignis, für alle obskur außer für ihn. Er schien es nicht mehr auf seinen Wegen durch das Tal zu suchen, die nun bloßer Zeitvertreib waren. Greiders Warten hatte nichts Nervöses oder Gespanntes. Es war nicht das Warten auf etwas, das plötzlich und unvorbereitet kommen würde, und nicht das Warten auf etwas, dessen Erscheinen ungewiss war. Es war das Warten auf etwas, das so unausweichlich und so unbeeinflussbar war wie der Sonnenuntergang. Das Warten eines Jägers, der am einzigen Zugang eines Weidegrunds wilde Herdentiere abpasst.
    Es war ein Lauern. Und sowenig man vermocht hätte zu sagen, auf was er lauerte, sosehr mochte man doch spüren, dass nicht das Warten der Brautleute, nicht das Warten der Bauern, sondern das Warten Greiders das eigentliche, das verborgene, das große Warten des Tals selbst war.
    Als Greider eines Nachmittags von einem seiner ziellosen Ausritte zurückkehrte – an einem Tag, da sich die Wolken für eine Weile verzogen hatten und das Blau des Himmels zum Vorschein kommen ließen wie ein Taschenspieler, der zum Beweis ihres Vorhandenseins noch einmal das Tuch von einer Rose zieht, bevor er sie endgültig verschwinden lässt –, da begegnete ihm Luzi auf dem Weg, ein gutes Stück entfernt vom Haus, von dem nur in der Entfernung die Rauchsäule des Kamins zu sehen war. Auch sie hatte offenbar Zerstreuung im Freien gesucht, war ohne Ziel und praktische Notwendigkeit umhergestreift. Als sie Greider bemerkte, empfing sie ihn mit einem Lächeln, doch er hatte zuvor die tiefe Nachdenklichkeit in ihrem Gesicht gesehen. Da sie beide den Rest ihrer Wegstrecke gemeinsam hatten, stieg Greider vonseinem Maultier ab und ging zu Fuß an Luzis Seite weiter. Nach kurzer Begrüßung sprachen sie eine Weile nichts.
    Dann sagte Greider: »Ist bald dei Hochzeit…«
    »Ja«, antwortete Luzi, und sie blickte ihn, verlegen lächelnd und nickend, an mit einem Gesicht, auf dem die echte Freude auf das Ereignis genauso zu lesen war wie die Ahnung, dass eben dieses Ereignis der Grund für ihre Nachdenklichkeit war.
    »Freust’ dich?« fragte Greider, und fast klang es tatsächlich nur wie eine Frage, die man in sicherer Erwartung der Antwort stellt, um das Gespräch am Laufen zu halten und seinem Gegenüber die Gelegenheit zu geben, sie ausführlich zu bejahen.
    »Ja, freilich«, antwortete Luzi – und daran, dass diese Antwort ehrlich war, gab es keinen Zweifel. Aber ihre Kürze und die Weise, wie Luzi sie sich selbst mindestens so wie Greider durch ein erneutes Nicken zu bestätigen schien, sagten auch, dass sie nicht die ganze Antwort waren. Dass es zu dem Ja auch noch ein Aber gab.
    Wieder gingen die beiden eine Weile schweigend nebeneinander her. Als das Haus der Gaderin schon in Sichtweite war, setzte Greider erneut an: »Wennsd’ verheiratet bist, werd’ ich wohl aus dem Haus müssen?«
    Denn dass Lukas die Wirtschaft der Gaderin übernehmen sollte, das galt als abgemacht, und es war mehr als fraglich, ob da noch Platz für einen zweiten Mann war.
    Luzi schaute Greider von der Seite an und schien eine Weile zu überlegen, wie sie diese Frage am besten beantworten sollte. Dann sagte sie, in einem Tonfall, der unbeschwert und freundlich klingen sollte: »Ach, des hat mehr Zeit, als du glaubst…«
    Greider sah das Mädchen fragend an, aber sie wandte ihr Gesicht ab und starrte geradeaus auf den Weg. Etwas arbeitetein ihr. Sie schien zu überlegen, das Für und Wider von etwas abzuwägen. Dann blieb sie, es waren nur noch ein-, zweihundert Meter bis zum Haus, stehen, drehte sich zu Greider, legte ihm die Hand auf den Arm, blickte ihm ernst und tief in die Augen und sagte: »Nach der Hochzeit ist hier heroben leicht alles a bisserl anders, als du meinst. Tu dich net wundern. Und frag nimmer.«
    Bevor Greider darauf etwas sagen konnte, hatte Luzi sich wieder weggedreht und setzte das letzte Stück des Weges mit einer Entschlossenheit fort, die jeden Ein- und Widerspruch zwecklos machte.
    Sie hatte so viel – und wohl sogar mehr – gesagt, wie sie konnte und wollte. Sie wusste, dass es für sie alles war und für den anderen noch nichts, aber sie war jetzt nicht in der Lage, sich auch noch mit der Verblüffung und der Neugier und den Fragen auseinanderzusetzen, die ihre rätselhaften Sätze bei Greider

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