Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
sondern die bloße Feststellung einer Tatsache. Aber dazu lächelte er herausfordernd, und seine Augen blickten fragend wie bei einem, der einen subtilen Witz macht und sich nicht sicher ist, ob seine Zuhörer das mitbekommen haben.
In der Tat schauten sich die Brüder untereinander mit ungläubiger Überraschung an und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Nur der Älteste blieb ernst.
Er fixierte Greider und befahl, die Zügel bereit machend, mit drohender Ruhe: »Aus dem Weg.«
Als hätte sein Publikum die Pointe nicht begriffen, wiederholte Greider: »Ich nehm’ die Frau mit.« Und dabei lächelte er noch breiter, als wäre ihm selbst eben erst aufgefallen, wie amüsant sein Satz wirklich war.
Der Bärtige gab seinem jüngsten Bruder mit dem Kopf ein Zeichen. Der ließ sein Pferd die Sporen spüren, um den ihnen den Weg versperrenden Fremden niederzureiten.
Doch das Ross war noch kaum mit einem Aufstauben des tiefen Schnees in Gang gekommen, da hatte sich GreidersMantel geöffnet, er einen Griff hineingetan – und plötzlich blinkte dünn, lang und gefährlich Metall in seinen Händen.
Der Reiter riss so ruckartig an den Zügeln, dass sein Pferd aufwieherte, es beide Vorderläufe aufsteigen und in den Schnee donnern ließ.
Greider schüttelte seinen Kopf, als wolle er einem kleinen Kind sagen: ›Das tut man aber nicht.‹
»Die Frau«, insistierte er, und jetzt war alles Spöttische aus seiner Stimme gewichen.
Er winkte Luzi zu, sie solle vom Wagen steigen und zu ihm kommen. Sie blickte unsicher, erhob sich ein Stück von der Bank, wagte aber nicht, ganz aufzustehen.
Prompt drehte sich auch der Bärtige um und befahl ihr barsch, sitzen zu bleiben. Doch wie er mehr als diesen Widerstand leisten sollte, das wusste er für den Moment sichtlich auch nicht recht.
Denn es war ausgerechnet der geradezu angeborene Glaube der Brennerschen an ihre vermeintlich unerschütterliche Überlegenheit, der nun Greider ihnen überlegen machte. Es gab im Tal keine Schusswaffe, die nicht dem dunklen Hof an seinem Ende gehörte: Die Leute des Brenner waren die Einzigen, die das Recht und das Werkzeug zur Jagd hatten. Und so war ihnen das Gefühl der Bedrohung fremd geworden, sie kannten keinen Grund, ihre Gewehre an einem Tag wie dem heutigen mit sich zu führen. Denn es gab seit Jahrzehnten keine Widersacher mehr, die das nötig gemacht hätten; es hatte – mit einer schwachen, schnell bestraften Ausnahme – nie welche gegeben. Dass der Fremde den Versuch wagen könnte, daran etwas zu ändern, damit hatten sie nicht gerechnet.
Der einzige Vorteil, den sie in der jetzigen Situation hatten, war ihre Überzahl.
Der Bärtige überlegte einen Moment, dann befahl er mitknappen Worten und entschlossenen Gesten seinen beiden berittenen Brüdern, sich in einem Bogen von zwei Seiten dem Fremden zu nähern.
Der ließ keine der Bewegungen aus dem Auge, sein Körper spannte sich, schien sein Zentrum zu finden, sich gleichsam an seinem Standort zu verankern. Seine Hände suchten sich den besten Griff an dem schlanken Leib des Gewehrs, schmiegten sich um dessen lauernde Masse, den Zeigefinger um den Abzug schmeichelnd, den Daumen am gespannten Hahn.
Die Reiter näherten sich skeptisch, unfroh über den Auftrag ihres Bruders. Sie ließen ihre an straffen Zügeln schnaubenden Pferde weit ausholen, nur langsam vorwärtstänzeln.
Als sie auf ein gutes Dutzend Meter herangekommen waren, nahm Greider seine Waffe hoch in den Anschlag und ließ die Mündung gelassen zwischen den beiden Zielen pendeln. Sein Kopf aber blieb unverwandt auf den Ältesten auf dem Kutschbock gerichtet.
»Welcher soll’s sein?« rief Greider dem Bärtigen zu, in einem Ton, als wäre er ein Schlachter, der das nächste Tier aus dem Pferch holen muss.
Der Kutscher warf ihm einen zornglühenden Blick zu, aber eine Sekunde später stieß er einen scharfen Pfiff aus und hob seinen Arm mit der Kutschpeitsche, zum Zeichen, dass seine Brüder einhalten sollten.
Er musste einsehen, dass man den Fremden zwar vielleicht überwältigen könnte – dies aber auf jeden Fall einen hohen Preis hätte. Einen zu hohen.
»Die Frau«, verlangte Greider erneut und richtete seine Waffe nun geradewegs auf den Bärtigen.
Der schien innerlich zu beben vor Hass und Ohnmacht, aber es blieb ihm nichts übrig, als mit der Peitsche nun – ohne sich umzuwenden und Greider aus den Augen zu lassen –seinem unfreiwilligen Fahrgast zuzuwinken, sie solle sich vom Wagen scheren und
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