Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
Vom Netzwerk:
unartikulierter Laut, ein Bitten, das in seiner Überraschung und Dringlichkeit noch keine Sprache gefunden hatte.
    Es kam alles zu spät.
    Der Lauf des Gewehres krachte durch das zersplitternde Holzgitter, und in derselben Bewegung explodierte aus ihm ein Schuss, ohrenbetäubend in der abgeschlossenen Enge des Beichtstuhls. Die Kugel riss eine halbe schützende Hand weg und schlug, davon kaum gebremst, mitten in das Gesicht dahinter. Dieses nahm seinen Ausdruck von Erstaunen, Augen und Mund weit aufgerissen, in die Ewigkeit mit. Aus der Rückseite seines Schädels aber spritzten Breisers Erinnerungen, seine Schuld und sein Glauben an die Wand des Beichtstuhls.
    Greider dröhnte der Donner des Gewehrs in den Ohren als klingelndes Pfeifen nach. Für eine Weile war er taub für die Welt. Er trat in einer Wolke aus beißendem Pulverdampf aus dem Beichtstuhl hervor und zog den Vorhang auf der Seite des Pfarrers zurück. Er betrachtete das grausige Ergebnis seiner Tat, und wenn dabei auf seinem Gesicht irgendetwas zu sehen war außer Teilnahmslosigkeit, dann war es eine nüchterne Konzentration wie die eines Mannes, der sich etwas einprägen, etwas für späteren beliebigen Gebrauch auswendig lernen möchte. Und der Hauch eines zufriedenen Lächelns.
    Nachdem Greider den unheiligen Anblick ausgiebig studiert hatte, schien er einen Moment zu überlegen. Dann ließ er die Leiche einfach sitzen, wo sie saß, und schloss lediglich wieder den schwarzen Vorhang. Heute würde niemand mehr zurück in die Kirche kommen.
    Greider blickte zu den Fenstern und schätzte den Stand der Sonne. Er hatte noch Zeit. Er schritt zur vordersten Kirchenbank, streckte sich darauf der Länge nach aus, schob sich zwei Gesangbücher statt eines Kissens unter den Kopf und zog den Hut ins Gesicht. Dann schlummerte er seelenruhig ein.

XV
    Als Greider die Kirche verließ, neigte sich die Sonne schon wieder dem Horizont zu. Und dort lauerten bereits Wolken auf sie, die dunkel und fett am Schnee schwanger trugen. Das Wetter wollte umschlagen.
    Greider ging zu seinem Maultier, das klaglos an der Stelle wartete, wo er es an den Zaun des Friedhofs gebunden hatte. Er machte es los, und das Tier ließ mit einem kurzen Tänzeln, einem nachdrücklichen Senken und Heben des Halses seine Freude auf die bevorstehende Bewegung erkennen.
    Greider streichelte ihm über die Stirn. Doch bevor er aufsaß, schaute er auf den Gottesacker jenseits der Metallstäbe. Sein Blick suchte jene inzwischen auch bereits fast vom Weiß gleichgemachte Stelle, an der vor Kurzem zwei neue Gräber geschaufelt waren. Und es wirkte, als wollten seine Augen messen, wie viel Platz um diese beiden Totenstätten noch frei sei.
    Der Kutschwagen ratterte in den frühen Abend hinein. Zwei Männer saßen auf dem Bock, zwei begleiteten ihn zu Pferde.Und auf den Sitzbänken seiner Ladefläche thronte eine junge Frau. Sie kamen von der Hochzeitsfeier, deren Lärm und Licht sie seit bald einer halben Stunde hinter sich gelassen hatten. Die Männer waren die Söhne des Brenner, die Frau war Luzi – aber die Szene war nur die Wiederholung eines alten Schauspiels, das allein in der weiblichen Hauptrolle einen ständigen Wechsel kannte.
    Wie so viele Bräute zuvor war Luzi aus dem Wirtshaus geführt worden, während die übrigen Dorfbewohner noch feierten, und wie bei so vielen Bräuten zuvor hatten manche so getan, als bemerkten sie das gar nicht, und manche hatten sie mit Blicken des Mitleids, der kalten Neugier oder auch des Hohns verfolgt. Wie so viele Bräute zuvor hatte Luzi versucht, den Kopf trotzig hoch- und die Tränen zurückzuhalten, und wie so vielen war es ihr schwer geworden. Und wie so viele Männer zuvor hatte Lukas hilflos danebengestanden, mit geballten Fäusten und zitternd vor nutzloser Wut. Er hatte sie mit hinaus vor das Wirtshaus begleitet, hatte dort noch einmal ihren Arm gefasst und sie an sich gezogen, einen Kuss auf ihre Lippen gedrückt, bevor ein Brenner-Sohn ihn fortschob und ein anderer Luzi um die Hüften nahm und auf den bereitstehenden Wagen hob.
    Und wie am Ende so vieler Hochzeitstage zuvor waren sie dann losgefahren, in das Innere des Tals hinein, auf den Hof des wartenden Brenner zu. Während hinter ihnen die in starrer Verzweiflung stehende Figur Lukas’ kleiner und kleiner wurde.
    Es war wieder kühl geworden, vor allem für ihre von der überfüllten Wirtsstube erhitzten Körper. Die Sonne, obwohl noch ein gutes Stück von ihrer Abendruhe entfernt, war bereits

Weitere Kostenlose Bücher