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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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zugerufenen Verständigungen über denWeg, den ihre Flucht nehmen sollte. Auch jetzt blieben sie stumm. Ein Blick hatte Greider hinreichend gezeigt, dass die Frau erst einige Augenblicke für sich brauchte. Er zügelte sein Pferd und ließ sie ein kleines Stück voranreiten. Und er sah, wie ihr Kopf sich beugte, wie eine Hand zu den Augen fuhr, wie ihr Rücken in Schluchzern erbebte. Er ließ es still und einsam geschehen. Ein feiner Vorhang aus Schneeflocken webte sich zwischen die beiden und erstickte gütig alle Geräusche.
    Doch es dauerte nur ein, zwei Minuten – und es war, als hätte Greider das gewusst und darauf gewartet. Dann legten sich die stoßartigen Erschütterungen von Luzis Rücken, dann wurde dieser wieder gerade, aufrecht. Man sah, wie der Körper zweimal tief Luft einsog, um schließlich zu normalem Atmen zurückzukehren. Der Kopf hob sich trotzig. Die Hand schien noch etwas fortzuwischen aus dem Gesicht und griff dann wieder an die Zügel.
    War es Erleichterung und Freude über die unverhoffte Rettung gewesen, die Luzi übermannt hatte, war es Angst vor dem, was diese nach sich ziehen würde, oder vielleicht sogar etwas Ähnliches wie Wut, dass die Dinge nicht einfach ihren gewohnten, klaren Gang gehen durften, sie nicht einfach ihr Opfer brachte, um danach in Frieden ihr wahres Leben zu führen, sondern dass nun alles unsicherer, verwirrend geworden war? Was immer davon sie gepackt hatte: Es war nun anerkannt und abgewogen und überwunden. Und es war an seine Stelle eine reine Entschlossenheit getreten. Eine Entschlossenheit, dieses unerwartete Geschenk anzunehmen, mit allem, was es bringen würde, und um es zu kämpfen, sich nicht noch einmal zum bereitwillig duldenden Lamm zu machen.
    Luzi zügelte ihr vor sich hintrottendes Pferd, bis Greider sie eingeholt hatte und wieder an ihrer Seite ritt.
    Sie lächelte ihn an und ihrer beiden Augenpaare sagten einander alles, was zu sagen war.
    Doch dann durchbrach Luzi das Schweigen zwischen ihnen, weil es eine Sache gab, die so nicht geklärt war, geklärt werden konnte.
    »Warum hast du’s g’macht?« fragte sie ihn.
    Aber er gab ihr keine Antwort. Er zuckte nur beinahe verlegen mit den Schultern.
    Sie lächelte ihn bittersüß an. Nicht weil sie dieses ›Das will ich nicht sagen‹ akzeptierte. Sondern weil sie begriff, dass es auch eine Antwort beinhaltete. Die hieß: ›Nicht für dich.‹
    Als Greider und Luzi in Sichtweite der ersten Höfe gelangten, war der halbe Himmel über ihnen schon in die dunkle Tinte der Nacht getaucht. Sie hatten unterwegs Greiders Maultier aufgelesen, das er eine halbe Fußstunde von der Mühlbrücke entfernt auf einer Lichtung angebunden hatte. Eine gute Weile später hatten sie dann den beiden Kutschpferden die Freiheit gegeben, in der Gewissheit, dass die Brennerschen sich längst aufgemacht haben mussten zu ihrem heimischen Hof, und dass die zu ihnen zurücklaufenden Pferde nun auch keine zusätzliche Gefahr der Verfolgung mehr bringen konnten.
    So waren es die Huf- und Geschirrgeräusche von drei Tieren, die sich schließlich dem Haus der Gaderin näherten. In der Stube brannte Licht, Luzis Mutter musste noch wach sein und allein, nach der mit solch zwei auseinanderstrebenden Gefühlen verbundenen Feier. Allein mit den Gedanken an das, was ihrer einzigen Tochter zu diesem Zeitpunkt vermeintlich bereits widerfuhr.
    Die Gaderin musste gehört haben, dass sich jemand näherte in der abendlichen Stille, auf diesem Weg, den zu diesem Zeitpunkt gewöhnlich niemand mehr zu nehmen Grundhatte. Und erst recht musste sie dann vernommen haben, dass das schneegedämpfte Hufklappern vor ihrem Grund haltmachte, jemand abstieg.
    Kaum hatte sich Luzi aus dem Sattel geschwungen, flog schon die Haustür auf. In dem schwachen Rechteck aus Licht erschien die Witwe mit wutentbrannt erhobenem Arm, bereit zu zetern. Denn sie hatte glauben müssen, dass es niemand anders als Männer von Brenners Hof sein konnten, die jetzt noch Möglichkeit und Anlass hatten, sie aus dem hinteren Winkel des Tals kommend aufzusuchen. Und sie konnte nur erwarten, dass es irgendein Hohn sein musste, den sie ihr brachten, angesichts dessen, was sie mit ihrer Tochter geschehen glaubte.
    »Was wollt ihr noch?« schrie sie die Ankömmlinge zornig an, kaum dass sie die Tür aufgerissen hatte. Und erstarrte dann.
    Sie brauchte einige Atemzüge, bis ihr Verstand begriff, was ihre Augen ihr zeigten, und bis dahin war Luzi schon zu ihr gerannt und hatte sie so

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