Das Fjordland: Elfenritter 3 - Roman
Laterne. Ein Psalm war darin eingeritzt. Sie keuchte. Dann zog sie ihr Rapier und stürmte zurück in den Tempelturm. Der Elf hatte nicht nur Alvarez ermordet, er war auch an dem einzigen Ort untergekrochen, den sie in ihrer heiligen Scheu
bloß oberflächlich untersucht hatten. Er musste auf der Galerie mit den Reliquienkästen sein. Und er hatte die Knochen eines Heiligen den Hunden zum Fraß vorgeworfen!
EIN SCHÖNER ABEND
Tarquinon genoss den Abend. Es war warm für einen Herbsttag. Er saß auf der Tribüne, die man für die Heptarchen und fast hundert andere hohe Würdenträger der Kirche auf dem Platz des heiligen Zorns errichtet hatte. Er bemerkte sehr wohl, dass die meisten der Kirchenfürsten sich langweilten, obwohl keiner von ihnen es wagte, mit seinen Nachbarn zu flüstern. Sie betrachteten die flatternden Banner hinter der Todesbühne oder blickten einfach zum Himmel oder auf ihre kostbar bestickten Schuhe.
Tarquinon verachtete diese Weichlinge. Ihm bereitete es Freude, dem Tod ins Angesicht zu sehen. Nicht mehr lange, dann hätte Henk van Bloemendijk sein Leben ausgehaucht. Der Abt hatte den Mund weit aufgerissen. Sein Gesicht war blaurot verfärbt. Der Henker verstand sein Geschäft. Er vermochte das langsame Ersticken auf ein Viertel von einer Stunde auszudehnen. Er drehte die Garotte sehr langsam zu. Lockerte sie zwischendurch ein wenig, nur um sie sogleich wieder zuzuziehen.
Tarquinon nahm ein kurzes Fernrohr und richtete es auf das Gesicht des Abtes. Der Augenblick des Todes war jetzt ganz nah. Ein paar Herzschläge noch, und er würde vor Tjured
stehen. Ob sich auf seinem Gesicht ein Abglanz von der Begegnung mit dem Göttlichen zeigen würde? Immerhin starb er unschuldig. Wenn er nicht zu Tjured ging, wer dann!
Das geflochtene Lederband der Garotte hatte sich tief in den fleischigen Hals gegraben. Die Arme, die an den Stuhllehnen festgeschnallt waren, zuckten hilflos. Henk war einer von denen, die Tarquinon auf die zweite Namensliste hatte setzen lassen. Ein treuer Diener der Kirche, dessen Frömmigkeit in den letzten Jahren seltsame Blüten getrieben hatte. Er predigte den Ausgleich mit den Heiden und war davon überzeugt, dass die Macht der Worte Gottes stärker war als jedes Schwert. Seiner Meinung nach war es nur eine Frage der Zeit, bis die Heiden ihren Irrglauben einsehen würden. Er war sogar der Ansicht, dass man sich mit den Anderen verständigen und vielleicht etwas von ihnen lernen könnte. Solche Gedanken waren blanke Ketzerei. Aber was noch beunruhigender war: Seine Thesen über die Macht von Gottes Wort stellten gleichzeitig die Existenz der beiden Ritterorden in Frage. Henk hatte mächtige Freunde innerhalb der Kirche gehabt, deshalb war er einer Anklage wegen Ketzerei entgangen und hatte seine Gedanken in Wort und Schrift verbreiten können. Nun saß er gemeinsam mit den meisten dieser Freunde auf der Todesbühne.
Der Kopf des Abtes kippte zur Seite. Es war vorüber. Tarquinon hörte den Mann neben sich erleichtert aufatmen. Er sah seinen Nachbarn mit Befremden an. Gehörte etwa auch er zu den heimlichen Freunden des Abtes? Es war ein älterer Herr mit schütterem, grauem Haar und einem fliehenden Kinn, das seinem Gesicht gemeinsam mit der großen Nase ein vogelartiges Aussehen gab.
Der Priester klopfte sich auf die Brust, als er Tarquinons Blick bemerkte. »Ein altes Lungenleiden. Immer wenn Regen kommt, wird mir die Brust eng.«
Der Großmeister nickte. Jetzt erinnerte er sich, woher er den Alten kannte. Er war der Vorsteher der Schreibstube des Heptarchen Gilles de Montcalm.
Tarquinon entschied sich, dem Sekretär keine weitere Aufmerksamkeit zu zollen, sondern sich ganz auf den nächsten Tod zu konzentrieren. Nun würde der Henker Miguel de Tosa, dem Ordensmarschall der Neuen Ritterschaft, das Leben aus der Kehle quetschen. Vielleicht machte der Ritter im Angesicht des Todes ja eine bessere Figur als die anderen.
Der Henker versicherte sich, dass der Knebel fest im Mund des Ordensritters saß. Alle Delinquenten wurden geknebelt. Man nahm die Knebel erst heraus, wenn die Garotte schon so fest am Hals saß, dass es unmöglich war zu reden. Es gab nichts Ermüdenderes als die Unschuldsbeteuerungen von Priestern! Das Recht auf ergreifende letzte Worte war ihnen zugleich mit dem Todesurteil aberkannt worden.
Miguels Hände lagen fest auf den Lehnen seines Stuhls. Er wirkte gefasst. Er und Honoré wussten, was dieser Tag für die Geschichte der Kirche bedeutete.
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