Das Fjordland: Elfenritter 3 - Roman
Versäumnisse
aus einem Missverständnis heraus zu kriegerischen Handlungen zwischen unseren beiden Orden kommen könnte. Ich werde noch in dieser Stunde einen Raben mit einer Nachricht nach Paulsburg schicken, wenn du dich meinen Befehlen widersetzt.«
Louis schluckte seinen Zorn hinunter. Diesen einen Sieg mochte sie noch haben. Aber es würde nicht lange dauern, bis sich das Blatt wendete. Bald würde er ihr Befehle geben. Und er würde nichts von dem vergessen, was sie ihm angetan hatte.
DER DREIBEINIGE HUND
Michelle trat aus dem Tempelturm. Es regnete in Strömen. Sie fühlte sich elend und niedergeschlagen. Den Rabenturm nahm sie nur als verschwommenen Schatten wahr. Lichtschein fiel durch das Fenster, hinter dem Alvarez gestorben war. Sie schlug mit der Hand gegen die nasse Mauer des Turms. Wenn sie wenigstens den Mörder zu fassen bekommen hätte. Was war geschehen? Hatte Gott sich von ihrem Orden abgewandt?
»Sagt mir, dass es wenigstens eine Spur gab!«
Die Männer um sie herum sahen zu Boden. Stunden hatten sie im Turm verbracht. Alle Zugänge zu den Gerüsten waren bewacht gewesen. Sie hatten jeden Winkel ausgeleuchtet, von den hohen Fensternischen bis in den letzten Winkel der Kellergewölbe. Sie hatte die Kisten durchsucht und etliche Stapel
mit Baumaterial auseinandergezerrt, aber der Mörder war wie von der Erde verschluckt. Nur Magie konnte sein spurloses Verschwinden erklären.
Regen rann ihr durch den Kragen den Nacken hinab. Ein eisiger Finger strich über ihren Rücken. Alle Härchen ihres Körpers stellten sich auf.
»Gehen wir noch einmal alles durch. Hauptmann!«
»Wir haben den Turm umstellt, kaum dass du auf der Straße warst, Schwester. Wir haben alles durchsucht.« Der Offizier war ein Mann, der wohl schon in den Vierzigern war. Er hatte ein ausgezehrtes, faltiges Gesicht. Grauschwarze Stoppeln lagen wie ein Schatten auf seinen Wangen. Sein Haaransatz war fast bis zur Mitte seines Schädels zurückgewichen. Die verbliebenen Haare klebten ihm in dünnen Strähnen auf der regennassen Haut. »Sag mir, was wir nicht getan haben.«
Sie wusste, dass sie ungerecht zu den Männern war. »Er wird versuchen, auf ein Schiff zu kommen. Durchsucht den Hafen. Jedes Schiff!«
»Glaubst du, er ist mit den Rittern vom Aschenbaum gekommen? «
Sie überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Wir führen doch keinen Krieg miteinander. So etwas hätten sie niemals gewagt. Los! Macht euch auf zum Hafen! Und durchsucht auch ihre Galeere! Es ist das einzige Schiff, das den Hafen verlassen darf.«
»Und du, Schwester?«
Michelle blickte hinauf zum erleuchteten Fenster. »Ich werde Abschied nehmen.« Mehr als zwanzig Jahre hatte sie ihn gekannt. Sie hatte viele Brüder und Schwestern in dieser Zeit sterben sehen. Aber dass Alvarez gehen könnte … Daran hatte sie nie gedacht. Sein Lachen und seine heitere Art waren in schweren Zeiten stets ein zuverlässiger Trost
gewesen. Kaum etwas hatte ihn erschüttern können. Und stets war er der Erste gewesen, der sich von Rückschlägen erholt und wieder nach vorne geblickt hatte. »Ich komme nach zum Hafen.«
Der Hauptmann nickte. Er rief nach seinen Männern. Die Schar formierte sich zu einer lockeren Kolonne. Jeder von ihnen blickte auf, als sie unter dem Turmfenster vorbeizogen.
Michelle griff nach der Laterne, die neben ihr auf dem Boden stand. Sie fühlte sich unendlich müde. Ein nasser Hund kauerte hinter einer hölzernen Schubkarre, dicht bei der Turmmauer. Er hatte schmutziges, gelbbraunes Fell, war aber wohlgenährt. Michelle kannte ihn, so wie jeder in der Hafenfestung. Er hatte nur drei Beine, und irgendein Schelm hatte ihm beigebracht, allein auf den Hinterbeinen zu laufen. Wer das einmal gesehen hatte, der vergaß es nicht mehr. Jeden Tag machte der gelbe Hund seine Runde durch die Schenken. Und nirgends ging er leer aus. Jetzt kaute er an einem alten Knochen, den er mit der verbliebenen Vorderpfote aufs Pflaster drückte.
Etwas an dem Knochen kam ihr seltsam vor. Michelle ging vor dem Hund in die Hocke. Misstrauisch blickte er zu ihrer Hand auf. Ein leises Knurren stieg tief aus seiner Kehle.
Michelle öffnete die Blende ihrer Laterne. Der Knochen sah aus wie eine Rippe. Sie schlug dem Hund mit der Rückhand übers Maul.
Kläffend schnappte er nach ihr. Sie richtete sich auf, verpasste ihm einen Tritt. Mit einem Jaulen sprang er auf die Hinterbeine und lief davon.
Sie bückte sich nach dem Knochen und drehte ihn im Licht der
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