Das Fjordland: Elfenritter 3 - Roman
Er fühlte sich nackt. Ein Ritter zu sein, das hatte ihm immer alles bedeutet. Seit jenem Tag vor so vielen Jahren, als Michelle mit ihm aus seinem Dorf fortgeritten war.
»Bist du noch ein Ritter?«, übersetzte der Elf.
»Ja!« Er zögerte keinen Herzschlag. Erst als es aus ihm herausgebrochen war, fragte er sich, ob er das Recht hatte, diesen Ehrentitel noch für sich zu beanspruchen.
»Dann kann ich dir also vertrauen. Du bist keiner von den Mördern. Du wirst Kinder beschützen?«
Luc war fassungslos. Ihre Worte zerrissen ihm das Herz. Und er kannte nur eine Antwort auf ihre Frage. »Ich werde dich mit meinem Leben beschützen.« Seine Stimme war rau und kehlig. »Das schwöre ich bei Tjured, meinem Gott.«
»Darf ich in dieser Nacht in deinem Zimmer schlafen?«
Luc starrte das blasse Oval an. Was ging in dem Mädchen vor? Wenn er nur ihre Gesichtszüge sehen könnte, ihr Mienenspiel.
Sie war eine Elfe! War das am Ende ein perfider Plan, um seine Loyalität seinen Ritterbrüdern gegenüber zu erschüttern?
Elfen war alles zuzutrauen, so hatte er es immer wieder gelernt. Aber sie war noch ein Kind … Hatte Emerelle sie geschickt?
»In ihrem Zimmer schläft ein junger Troll«, erklärte die Stimme des Übersetzers, ohne dass Myrielle etwas gesagt hätte. »Er schnarcht so sehr, dass sie nicht schlafen kann. Sie möchte ihre Matratze und ihr Bettzeug hierherbringen. Sie ist sehr erschöpft. Der Troll … riecht auch ein wenig streng. Du stinkst nicht, sagt sie.«
»Sie ist willkommen«, entgegnete Luc ein wenig steif. »Ich hoffe, ich schnarche nicht.«
Der Elfenritter übersetzte seine Worte. Dann hörte Luc Schritte und das Rascheln von Decken. Er wollte sich bei ihr noch einmal entschuldigen. Aber was sollte er sagen? All seine Worte konnten nur hohl klingen.
Das Mädchen fragte den Elfen etwas. Es hörte sich an, als sei seine Antwort ausweichend. Noch einmal drängte Myrielle mit einer Frage.
»Was ist los?«
»Sie möchte, dass ich ihr ein Märchen erzähle. Eine dumme Geschichte, die nur falsche Hoffnungen in ihr wecken wird!«
»Wie alt ist sie denn?«
»Sieben Jahre.«
»Und du glaubst, Hoffnung kann schaden?«
»Wer bist du, mir eine Lektion erteilen zu wollen?«
Luc zuckte mit den Schultern. »Wie alt bist du, Ritter?«
»Ich zähle mein Leben nicht mehr nach Jahren, sondern nach Jahrhunderten. Mein Alter interessiert mich schon lange nicht mehr. Seit dem Winter, in dem Alfadas König des
Fjordlands wurde, habe ich aufgehört zu zählen.« Der stolze Krieger klang jetzt nur noch müde und traurig. Er hatte seinen Hochmut abgelegt.
»Bei mir ist kaum mehr als ein Jahrzehnt vergangen, seit ich sieben Jahre war. Was glaubst du, wer von uns beiden die Gefühle des Mädchens besser kennt? Trau ihr zu, dass sie die Geschichte, die sie hören möchte, aushalten kann. Sie kennt sie doch ohnehin schon, sonst könnte sie dich ja nicht danach fragen.«
Eine schlanke Gestalt, ganz in Weiß, trat aus dem Dunkel. Luc versuchte blinzelnd, sie besser zu erkennen. Doch seine tränenden Augen versagten ihm noch immer den Dienst.
Der Elf beugte sich zu ihm herab. »Klug zu reden hast du gelernt in deiner Ordensschule. Jetzt verstehe ich besser, warum die Menschenkinder so anfällig für die Lehren der Kirche sind.«
»Ich galt unter meinesgleichen stets als wenig begabt, weil ich mein Herz auf der Zunge trage.«
Luc bildete sich ein, den Blick des Elfen wie eine Berührung zu spüren. Ganz nah war ihm der Krieger. Deutlich roch der Junge das Waffenfett. Und noch ein anderer, angenehmerer Duft ging von ihm aus. Es war kein Parfüm.
»Myrielle fragt nach einer Geschichte, die eine alte Freundin von mir kurz vor ihrem Tod niedergeschrieben hat. Neben vielen anderen Dingen erzählte sie von einem Mausling namens Breitnase. Er hat für meine Freundin eine silberne Hand erschaffen. Obwohl er nur so groß wie dein Ringfinger war, zählte er gewiss zu den begabtesten Zauberern, Mechanikern und Alchemisten, die je in Albenmark lebten. Er vermochte verlorene Gliedmaßen neu zu erschaffen.« Obwohl das Mädchen die Sprache der Menschen gewiss nicht verstehen konnte, senkte der Elfenkrieger seine Stimme zu einem Flüstern. »Breitnase war ein Meister, wie es nie wieder einen
anderen geben wird. Und dass Ganda über ihn schrieb, hat seinen Ruhm bis in die entferntesten Winkel Albenmarks getragen. «
Luc hatte das Gefühl, dass der Elfenritter lächelte, auch wenn sein Gesicht nur eine ovale Fläche
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