Das Flammende Kreuz
um.
»Geht«, sagte er. »Lasst ihn entscheiden. Ob - oder ob nicht - ich werde dich rufen.«
Meine Knie zitterten, und ich ballte die Hände in den Falten meines Rockes.
»Nein«, sagte ich. Ich sah Beardsley an, dann schluckte ich und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich erneut. »Wenn - wenn du... du musst einen Zeugen haben.«
Er zögerte einen Augenblick, doch dann nickte er.
»Aye, du hast Recht.« Er sah Mrs. Beardsley an. Sie stand stocksteif da, die Hände unter ihrer Schürze verschränkt, und ihre Augen huschten von mir zu Jamie zu ihrem Mann und wieder zurück. Jamie schüttelte kurz den Kopf, dann wandte er sich wieder an den vom Schlag getroffenen Mann und richtete sich auf.
»Schließt das Auge einmal für ja, zweimal für nein«, sagte er. »Versteht Ihr?«
Das Augenlid senkte sich ohne Zögern.
»Dann hört mir zu.« Jamie holte tief Luft und begann mit flacher, emotionsloser
Stimme zu sprechen, und seine Augen wichen nicht von dem zerstörten Gesicht und dem brennenden Blick des offenen Auges.
»Ihr wisst, was mit Euch geschehen ist?«
Blink.
»Ihr wisst, dass meine Frau Ärztin ist, eine Heilerin?«
Das Auge rollte in meine Richtung, dann wieder zu Jamie. Blink.
»Sie sagt, Ihr habt eine Apoplexie erlitten, und dass der Schaden nicht zu heilen ist. Versteht Ihr?«
Aus dem verzerrten Mund kam ein pustendes Geräusch. Das war keine Neuigkeit. Blink.
»Euer Fuß ist vereitert. Wenn er nicht amputiert wird, werdet Ihr verwesen und sterben. Versteht Ihr?«
Keine Antwort. Die Nasenlöcher blähten sich plötzlich, feucht, suchend; dann atmete er schnaubend aus. Vielleicht hatte er die Verwesung gerochen, aber nicht mit Sicherheit gewusst, dass sie von seinem eigenen Körper kam. Nicht bis jetzt. Langsames Blinken.
Die leise Litanei ging weiter, Feststellungen und Fragen, jede eine Schaufel voll Erde, die einem sich vertiefenden Grab entnommen wurde. Jede endete mit den unausweichlichen Worten: »Versteht Ihr?«
Meine Hände und Füße und mein Gesicht waren taub. Das seltsame Gefühl, dass der Raum eine Zuflucht war, hatte sich geändert; er fühlte sich zwar an wie eine Kirche, aber nicht länger wie eine Zuflucht. Jetzt war er ein Raum, in dem ein Ritual statt fand, das auf ein ernstes, vorbestimmtes Ende zuführte.
Und es war vorbestimmt, das war mir klar. Beardsley hatte seine Entscheidung schon lange getroffen - vielleicht sogar schon vor unserem Eintreffen. Er hatte schließlich einen Monat in diesem Fegefeuer verbracht, kalt und dunkel in der Schwebe zwischen Himmel und Erde - Zeit zum Nachdenken, sich mit seinen Aussichten abzufinden und seinen Frieden mit seinem Tod zu schließen.
Verstand er das?
O ja, sehr gut.
Jamie stand über den Tisch gebeugt, eine Hand auf Beardsleys Arm, ein Priester in fleckigem Leinen, der Absolution und Erlösung anbot. Mrs. Beardsley stand erstarrt in dem Licht, das zum Fester hereinfiel, ein unerschütterlicher Engel der Verdammnis.
Die Feststellungen und Fragen kamen zu ihrem Ende.
»Wollt Ihr, dass meine Frau Euch den Fuß abnimmt und Eure Wunden versorgt?«
Einmaliges Blinken, dann zweimal, übertrieben, ganz bewusst.
Jamies Atem war gut hörbar, und die Enge in seiner Brust verwandelte jedes Wort in einen Seufzer.
»Möchtet Ihr, dass ich Euch das Leben nehme?«
Obwohl die eine Hälfte seines Gesichtes eingefallen und leblos war, war noch genug von Beardsley übrig, um einen Ausdruck zu zeigen. Der benutzbare Winkel seines Mundes zog sich zu einem zynischen Grinsen hoch. » Das , was noch davon übrig ist «, sagte sein Schweigen. Das Augenlid senkte sich - und blieb geschlossen.
Auch Jamie schloss die Augen. Ein kleiner Schauer überlief ihn. Dann schüttelte er sich kurz wie ein Mensch, der kaltes Wasser abschüttelt, und wandte sich der Anrichte zu, wo seine Pistolen lagen.
Ich trat schnell an seine Seite und legte ihm die Hand auf den Arm. Er sah mich nicht an, sondern hielt den Blick auf die Pistole gerichtet, die er jetzt lud. Sein Gesicht war weiß, aber seine Hände waren ruhig.
»Geh«, sagte er. »Bring sie hinaus.«
Ich sah mich nach Beardsley um, aber er war nicht länger mein Patient; sein Körper war meiner Heilkunst und meinem Trost entzogen. Ich trat zu der Frau, nahm ihren Arm und drehte sie zur Tür. Sie folgte mir mit mechanischen Schritten und blieb nicht stehen, um sich umzusehen.
Im Freien kam mir alles unwirklich vor, und ich konnte nicht glauben, wie normal der von der Sonne beschienene Hof
Weitere Kostenlose Bücher