Das Flammende Kreuz
nehmen. Sie mochte ja blind sein, doch in ihren Augen war nichts Totes. Ob das wohl bedeutete, dass sie nie tiefe Gefühle für einen ihrer Männer gehegt hatte?, fragte ich mich. Oder nur, dass sie eine Frau von großer Kraft war, die den Schmerz besiegen konnte, und das nicht nur einmal, sondern mehrfach?
Ich selbst hatte es einmal getan - um Briannas willen. Doch Jocasta hatte keine Kinder; zumindest jetzt nicht mehr. Hatte sie einst Kinder gehabt und den Schmerz eines gespaltenen Herzens unterdrückt, um für ein Kind zu leben?
Ich schüttelte mich und versuchte, diese melancholischen Gedanken zu vertreiben. Dies war schließlich ein festlicher Anlass, und der Tag war wie geschaffen dafür. Der Hartriegel stand in voller Blüte, und balzende Drosseln und Kardinalvögel schossen wie Konfetti in den grünenden Bäumen umher, verrückt vor Lust.
»Aber natürlich haben sie das«, sagte eine Frau mit herrischer Stimme. »Mein Gott, sie wohnen jetzt doch schon seit Monaten im selben Haus!«
»Aye, das stimmt«, pflichtete eine ihrer Begleiterinnen ihr zweifelnd bei. »Aber wenn man sie so ansieht, möchte man es nicht glauben. Sie sehen einander ja kaum an! Äh... ich meine, natürlich kann sie ihn nicht ansehen, blind, wie sie ist, aber man möchte doch meinen...«
Es ging nicht nur den Vögeln so, dachte ich belustigt. Ein Gefühl aufsteigender Säfte durchtränkte die ganze Hochzeitsgesellschaft. Als ich zur Terrasse hinaufblickte, konnte ich junge Frauen zwitschernd und tratschend wie die Hennen in kleinen Gruppen zusammengedrängt sehen, während die Männer ach-so-beiläufig vor ihnen auf und ab schritten, bunt wie die Pfauen in ihren Festtagskleidern. Es würde mich nicht im Mindesten überraschen, wenn dieses Fest in einigen Verlobungen resultierte - und auch in der einen oder anderen Schwangerschaft. Sex lag in der Luft; unter den betörenden Düften von Frühlingsblumen und kochendem Essen konnte ich es riechen.
Das Gefühl der Melancholie war von mir gewichen, wenn es mich auch immer noch drängte, Jamie zu finden.
Ich war auf der einen Seite des Rasens hinunter und auf der anderen wieder heraufgegangen, sah aber zwischen dem großen Plantagenhaus und dem Dock - wo livrierte Sklaven immer noch späte Ankömmlinge begrüßten, die auf dem Wasser angereist waren - nirgends eine Spur von ihm. Unter denen,
die noch erwartet wurden - und in der Tat sehr spät dran waren -, befand sich auch der Priester, der die Eheschließung vollziehen sollte.
Vater LeClerc war ein Jesuit, der aus New Orleans zu einer Missionsstation in der Nähe von Quebec unterwegs war, sich jedoch von Jocasta durch eine beträchtliche Spende an die Gesellschaft Jesu vom strikten Pfad der Pflichterfüllung hatte abbringen lassen. Möglich, dass man mit Geld kein Glück kaufen konnte, sinnierte ich, aber es war trotzdem eine nützliche Annehmlichkeit.
Ich blickte in die andere Richtung und erstarrte. Nicht weit von mir entfernt fing Ronnie Campbell meinen Blick auf und verneigte sich; ich grüßte mit erhobenem Fächer zurück, war aber zu sehr abgelenkt, um mich mit ihm zu unterhalten. Zwar hatte ich Jamie nicht gefunden, aber ich hatte gerade wahrscheinlich den Grund für sein plötzliches Verschwinden erspäht. Ronnies Vater, Farquard Campbell, kam von der Anlegestelle über den Rasen geschritten, begleitet von einem Herrn in der rot-braunen Uniform der Armee Seiner Majestät und einem weiteren in einer Marineuniform - Leutnant Wolff.
Dieser Anblick versetzte mir einen unangenehmen Schrecken. Leutnant Wolff gehörte nicht zu den Menschen, deren Anblick mich erfreute. Auch sonst war er bei niemandem, der ihn kannte, beliebt.
Ich ging davon aus, dass es wohl nur vernünftig gewesen war, ihn einzuladen, da die Königliche Marine der Hauptabnehmer für das auf River Run produzierte Holz, den Teer und das Terpentin war, und Leutnant Wolff vertrat die Marine in diesen Dingen. Und es war gut möglich, dass Jocasta ihn außerdem auch aus persönlichen Gründen eingeladen hatte - der Leutnant hatte vor einiger Zeit um ihre Hand angehalten. Nicht, wie sie trocken angemerkt hatte, aus Verlangen nach ihrer Person, sondern, um River Run in seine Finger zu bekommen.
Ja, ich konnte mir vorstellen, dass sie ihren Spaß an der Anwesenheit des Leutnants bei ihrer Hochzeit hatte - auch wenn Duncan, der von Natur aus weder hinterlistig noch rachsüchtig war, dies anders sehen mochte.
Farquard Campbell hatte mich entdeckt und schob sich jetzt durch
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