Das Flammende Kreuz
das Gleichgewicht wieder zu finden. Dann wich ich ein wenig zurück, abgestoßen von dem durchdringenden Geruch, der aus seinen Kleidern aufstieg. Wäre ich nicht so aufgeregt gewesen, wäre mir sofort aufgefallen, dass er die Quelle des üblen Aromas war, das ich schon die ganze Zeit roch.
»Was in aller Welt hast du gemacht?« Ich roch stirnrunzelnd an der Brust seines Rockes. »Du riechst ja schrecklich! Nach...««
»Mist«, sagte er und klang resigniert. »Aye, ich weiß.« Seine Arme entspannten sich.
»Ja, Mist«, sagte ich und schnüffelte weiter. »Und Rumpunsch -« Doch den hatte er nicht selbst getrunken, dachte ich; ich hatte nur Bier geschmeckt, als er mich küsste. »Und noch etwas Fürchterliches, wie abgestandener Schweiß und -«
»Gekochte Rüben«, sagte er und klang noch resignierter. »Aye, das Dienstmädchen, von dem ich dir erzählt habe, Sassenach. Sie heißt Betty.« Er steckte meine Hand in seine Ellenbeuge, verbeugte sich tief vor der Menge - die unverschämterweise geschlossen applaudierte - und machte mit mir kehrt, um mich zum Haus zu dirigieren.
»Es wäre schön, wenn du etwas Vernünftiges aus ihr herausbekommen könntest«, sagte er mit einem Blick auf die Sonne, die auf halber Höhe über den Baumwipfeln längs des Flusses am Himmel stand. »Aber es wird langsam spät; vielleicht gehst du besser erst nach oben und sprichst mit meiner Tante, wenn es um vier Uhr eine Hochzeit geben soll.«
Ich versuchte, mich zu beruhigen. Eine ganze Reihe unverarbeiteter Gefühle rumorten nach wie vor in meinem Inneren, doch es gab nun einmal Arbeit.
»Also gut«, sagte ich. »Ich werde Jocasta aufsuchen und dann einen Blick auf Betty werfen. Und was Philip Wylie angeht...««
»Was Philip Wylie angeht«, unterbrach er mich, »denk nicht mehr an ihn, Sassenach.« Ein gewisser Ausdruck innerer Zielsicherheit regte sich in seinen Augen. »Um ihn kümmere ich mich später.«
44
Schwierigkeiten im Ehebett
Ich trennte mich im Salon von Jamie, und während ich die Treppe hinaufging und den Flur zu Jocastas Zimmer durchschritt, nickte ich den Freunden und Bekannten, denen ich unterwegs begegnete, geistesabwesend zu. Ich war immer noch bestürzt, sehr verärgert - und zugleich widerstrebend belustigt. Seit ich sechzehn war, hatte ich nicht mehr so viel Zeit mit verwirrtem Nachdenken über einen Penis verbracht, und jetzt beschäftigten mich gleich drei dieser Organe.
Da ich feststellte, dass ich allein im Flur war, öffnete ich meinen Fächer und blinzelte nachdenklich in den winzigen, runden Spiegel, der in einem Gemälde mit einer ländlichen Idylle als See diente. Da er den Betrachter eher neugierig machen sollte als ihm beim Frisieren oder Schminken zu helfen, zeigte mir der Spiegel nicht mehr als ein paar Quadratzentimeter meines Gesichtes auf einmal - ein Auge nebst dazugehöriger, hochgezogener Augenbraue, das mich fragend betrachtete.
Ich musste zugeben, dass es immer noch ein hübsches Auge war. Natürlich war es von Fältchen umgeben - aber es war wohlgeformt, das Lid elegant, und die dunkle Färbung der langen, geschwungenen Wimpern wiederholte sich in der schwarzen Pupille und bildete einen auffälligen Kontrast zum goldgefleckten Bernsteinton der Iris.
Ich schob den Fächer beiseite, um einen Blick auf meinen Mund zu werfen. Volle Lippen, im Augenblick sehr viel voller als sonst, ganz zu schweigen von ihrer dunklen, feuchten Rotfärbung. Sie sahen aus, als hätte jemand sie ausgiebig geküsst. Noch dazu sahen sie so aus, als hätte es ihnen gefallen.
»Hm!«, sagte ich und ließ den Fächer zuschnappen.
Jetzt, da mein Blut nicht länger kochte, stellte ich fest, dass ich mich mit absoluter Klarheit an die jüngsten Ereignisse erinnern konnte. Und ungeachtet meines Alters oder der Absichten, die Philip Wylie gehegt haben mochte, hatte er mir unwiderruflich bewiesen, dass er mich körperlich attraktiv fand, Großmutter oder nicht.
Ich hielt es allerdings für sehr viel besser, dies Jamie gegenüber nicht zu erwähnen; Philip Wylie war ein ausgesprochen aufdringlicher, junger Mann, doch wenn ich es in Ruhe bedachte, kam ich zu dem Schluss, dass es mir doch lieber war, wenn er nicht auf dem Rasen vor dem Haus seine Eingeweide verlor.
Mit zunehmender Reife änderte man allerdings auch die Perspektive. Allen persönlichen Implikationen jener aufgebrachten, männlichen Glieder zum Trotz, war es das schlaffe Exemplar, dem ich meine Aufmerksamkeit zuerst widmen musste, und ich
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