Das Flammende Kreuz
gehorsam einen großen Schluck Whisky nahm und dann mit vollem Mund dasaß, die Wangen aufgebläht wie ein Frosch kurz vor dem Losschmettern. Sie schien mir ein wenig blass zu sein, doch ich wusste nicht, ob ihr Mr. Goodwins Geschichte oder der Anblick seiner Zähne so nahe gegangen war.
»Ich glaube, ich brauche dich heute Morgen nicht mehr, Schatz«, sagte ich und tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Wie wär’s, wenn du nachsiehst, ob Jocasta alles für die Trauungen heute Abend vorbereitet hat?«
»Bist du sicher, Mama?« Noch während sie das fragte, band sie ihre blutbefleckte Schürze los und rollte sie zu einem Ball zusammen. Als ich ihrem Blick in Richtung der Wegmündung folgte, entdeckte ich Roger, der hinter einem Busch lauerte, die Augen fest auf sie gerichtet. Ich sah, wie sein Gesicht aufleuchtete, als sie sich ihm zuwandte, und dieser Anblick wärmte mir das Herz. Ja, mit ihnen würde alles gut werden.
»Nun denn, Mr. Goodwin. Nehmt noch einen Tropfen davon, und dann bringen wir diese Angelegenheit hier zu Ende.« Ich drehte mich zu meinem Patienten um und ergriff die Zange.
6
For Auld Lang Syne
Roger wartete am Rand der Lichtung und beobachtete Brianna, die neben Claire stand und Kräuter zerstampfte, Flüssigkeiten in kleine Flaschen abfüllte und Verbandsmaterial abriss. Trotz der Kühle hatte sie die Ärmel aufgekrempelt, und die Kraftanstrengung beim Abreißen der Leinenstreifen ließ die Muskeln unter ihrer sommersprossigen Haut spielen.
Kräftige Handgelenke, dachte er, und der etwas verstörende Gedanke an Estella in Dickens’ »Große Erwartungen« kam ihm in den Sinn. Kräftig von Kopf bis Fuß, unverkennbar; der Wind presste ihren Rock gegen die solide Fläche ihrer Hüften, und beim Umdrehen malte sich ihr langer Oberschenkel kurz unter dem Stoff ab, glatt und rund wie ein Erlenstamm.
Er war nicht der Einzige, der das bemerkte. Die Hälfte der Leute in den Warteschlangen der beiden Ärzte beobachteten Brianna; einige - zum Großteil Frauen - mit leichtem, verwundertem Stirnrunzeln, andere - ausnahmslos Männer - mit einer Mischung aus verstohlener Bewunderung und derber Spekulation, die in Roger das Bedürfnis weckte, auf die Lichtung zu treten und augenblicklich seine Anrechte an ihr klarzustellen.
Ach, sollen sie doch hinsehen, dachte er und unterdrückte das Bedürfnis. Es bedeutet doch nur dann etwas, wenn sie die Blicke erwidert, aye?
Er trat ein kleines Stück aus dem Schutz der Bäume hervor, und ihr Kopf wandte sich in seine Richtung, sobald sie ihn bemerkte. Ihr leichtes Stirnrunzeln schmolz dahin, und ihr Gesicht erhellte sich. Er lächelte zurück, dann ruckte er einladend mit dem Kopf und wandte sich auf den Pfad, ohne auf sie zu warten.
War er wirklich so kleingeistig, dass er den Wunsch hatte, dieser Bande von Gaffern zu beweisen, dass seine Frau auf seinen Wink hin alles stehen und liegen lassen würde? Nun... ja, das war er. Seine Verlegenheit über diese Erkenntnis wurde beim Klang ihrer Schritte auf dem Pfad durch ein angenehm durchdringendes Besitzgefühl abgeschwächt; ja, sie folgte ihm.
Sie hatte ihre Arbeit zurückgelassen, trug aber etwas in der Hand; ein kleines Paket, das in Papier eingepackt und mit einer Schnur umwickelt war. Er streckte die Hand aus und führte sie vom Pfad fort zu einem kleinen Hain, wo ein Vorhang aus zerzausten roten und gelben Ahornblättern ihnen eine Art Zurückgezogenheit bot.
»Tut mir Leid, dass ich dich von der Arbeit abhalte«, sagte er, obwohl es nicht stimmte.
»Schon okay. Ich war froh, da wegzukommen. Ich fürchte, Blut und Gedärme liegen mir nicht besonders.« Bei diesem Eingeständnis zog sie ein reumütiges Gesicht.
»Schon gut«, versicherte er ihr. »Das gehört auch nicht zu den Eigenschaften, die ich von meiner Frau erwartet habe.«
»Vielleicht solltest du das aber«, sagte sie und warf ihm einen brütenden Blick zu. »In dieser Gegend kann es gut sein, dass du eine Frau brauchst, die dir die Zähne ziehen kann, wenn sie verfaulen, und dir die Finger wieder annäht, wenn du sie dir beim Holzhacken abschneidest.«
Der graue Tag schien ihr aufs Gemüt geschlagen zu sein - oder vielleicht war es auch die Arbeit, die sie gerade verrichtet hatte. Ein kurzer Blick auf Claires Patientenparade mit ihrer Sammlung von Deformationen, Verstümmelungen, Wunden und grauenhaften Krankheiten war mehr als Grund genug zur Depression - außer für Claire.
Wenigstens würde das, was er Brianna zu sagen plante, sie ein
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