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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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dass Roger an ihrer Beklommenheit in Obadiahs Gegenwart zumindest nicht ganz unschuldig war. Sie hatte sich daran gewöhnt, Dinge zu hören, die nicht laut ausgesprochen wurden.
    Und Obadiah sprach nicht laut. Er sagte gar nichts zu ihr, machte ihr gegenüber keine einzige ungehörige Geste. Konnte sie ihm verbieten, sie anzusehen? Das war lächerlich. Lächerlich auch, dass etwas so Simples dazu führen konnte, dass ihr das Herz in die Kehle hüpfte, wenn sie die Tür öffnete, und ihr der Schweiß unter den Achseln ausbrach, wenn sie ihn sah.
    Sie holte tief Luft und öffnete den Mädchen die Tür. Sie rief auf Wiedersehen, als sie sich zerstreuten, dann stand sie da und sah sich um. Er war nicht da. Weder am Brunnen noch am Baum, auf der Bank... nirgendwo.
    Anne und Kate suchten ihn erst gar nicht; sie hatten die Lichtung schon halb überquert und waren Hand in Hand mit Janie Cameron unterwegs.
    »Annie!«, rief sie. »Wo ist dein Bruder?«
    Annie drehte sich halb um, und ihre Zöpfe flogen auf und ab.
    »Er ist in Salem, Miss«, rief sie zurück. »Wir gehen heute zum Essen zu Jane!« Ohne eine Antwort abzuwarten, hüpften die Mädchen wie ein Trio von Gummibällen davon.
    Die Anspannung in ihrem Hals und ihren Schultern verflog allmählich, und sie holte tief Luft. Im ersten Augenblick fühlte sie sich leer, als sei ihr nicht ganz klar, was sie tun sollte. Dann richtete sie sich auf und strich sich die zerknitterte Schürze glatt. Jemmy schlief; das nasale Alphabetlied der Mädchen hatte ihn eingelullt. Sie konnte sein Nickerchen ausnutzen, um Buttermilch aus dem Kühlhaus zu holen. Roger aß gern Buttermilchbrötchen; sie würde sie zum Abendessen machen, mit etwas Schinken.
    Im Kühlhaus war es frisch und dunkel, und das Geräusch des Wassers, das durch den steingefassten Kanal im Boden lief, war beruhigend. Sie liebte es, dort hineinzugehen und zu warten, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so dass sie die dahintreibenden Algenwedel bewundern konnte, die auf den Steinen wuchsen und sich in der Strömung wiegten. Jamie hatte außerdem erwähnt, dass sich eine Fledermausfamilie im Kühlhaus niedergelassen hatte - ja, da waren sie, vier winzige Bündel, die in der dunkelsten Ecke hingen, ein jedes kaum fünf Zentimeter lang und ordentlich eingewickelt
wie eines dieser griechischen Weinblattröllchen. Sie lächelte bei diesem Gedanken, auch wenn ihm ein Stich folgte.
    Sie hatte einmal in einem griechischen Restaurant in Boston mit Roger Dolmades gegessen. Sie hatte nicht besonders viel für griechisches Essen übrig, aber es hätte eine geteilte Erinnerung an ihre eigene Zeit sein können, wenn sie ihm von den Fledermäusen erzählte. Wenn sie es ihm jetzt erzählte, so dachte sie, würde er als Erwiderung lächeln - aber das Lächeln würde nicht bis zu seinen Augen reichen, und sie würde mit ihrer Erinnerung allein sein.
    Sie trat aus dem Kühlhaus und ging langsam zur Hütte zurück. Ein Stück Käse in der einen Hand bildete das Gegengewicht zu dem Eimer mit Buttermilch in der anderen. Ein Käseomelett zum Mittagessen war eine gute Idee; es war schnell zuzubereiten, und Jemmy liebte es. Er benutzte seinen Löffel meistens nur zum Erlegen seiner Beute, die er dann unter großem Gematsche mit beiden Händen verschlang, aber er aß allein, und das war ein Fortschritt.
    Sie lächelte immer noch, als sie vom Pfad aufblickte und Obadiah Henderson auf ihrer Bank sitzen sah.
    »Was macht Ihr denn hier?« Ihre Stimme war scharf, aber höher als beabsichtigt. »Die Mädchen haben gesagt, Ihr seid in Salem.«
    »Da war ich auch.« Er erhob sich und trat vor, dieses wissende Lächeln auf den Lippen. »Ich bin wieder da.«
    Sie unterdrückte das Bedürfnis, einen Schritt zurückzutreten. Dies war ihr Haus, der Teufel sollte sie holen, wenn er sie dazu brachte, von ihrer eigenen Tür zurückzuweichen.
    »Nun, die Mädchen sind schon fort«, sagte sie, so kühl sie konnte. »Sie sind bei den Camerons.« Ihr Herz pumpte heftig, doch sie trat an ihm vorbei, um den Eimer auf die Veranda zu stellen.
    Sie bückte sich, und er legte ihr seine Hand ins Kreuz. Im ersten Augenblick erstarrte sie. Er machte keine Bewegung, versuchte nicht, sie zu streicheln oder Druck auszuüben - doch das Gewicht der Hand ruhte auf ihrer Wirbelsäule wie eine tote Schlange. Sie fuhr auf, wirbelte herum und trat einen Schritt zurück. So viel dazu, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern lassen würde. Es war schon

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