Das Flüstern der Albträume
schauen.«
»Natürlich. Ein Polizeibeamter kann Sie hinfahren.«
»Er kann mir hinterherfahren, wenn er will, aber ich nehme meine eigenen Wagen. Erst die Jugendherberge, dann das Revier.«
»Okay.« Garrison zog eine Visitenkarte aus der Tasche. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt.«
Sally nahm die Karte. »Natürlich.«
6
Dienstag, 4. April, 8:15 Uhr
Als Eva in der Nähe des Wohnheims ankam, parkte sie wie in der Nacht zuvor in einer Seitenstraße und ging zwischen den Gärten hindurch. Als sie um die Ecke bog und das ausgebrannte Haus zum ersten Mal bei Tageslicht sah, stockte ihr der Atem. Das viktorianische Gebäude war nur noch ein Haufen verkohlten, qualmenden Schutts. Rauchgeruch hing nach wie vor in der Luft. Es war ein Wunder, dass überhaupt jemand mit dem Leben davongekommen war.
»Eva.« Die tiefe Stimme des fremden Mannes überrumpelte sie, und überrascht drehte sie sich um. Der Cop vom Vorabend stand nur zwei Meter von ihr entfernt. Sie hatte ihn nicht kommen gehört.
Sie sah ihn an. »Pardon?«
Er hob eine Braue. »Sie sind Eva Rayburn.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Wer sind Sie?«
»Detective Deacon Garrison.« Er deutete auf die Polizeimarke, die an seinem Hals hing. »Sie sind Eva.« Er blickte über die Gärten zu ihrem Transporter. »Und das ist Ihr Wagen?«
Sie hätte lügen können, aber das Nummernschild ließ sich schnell überprüfen. »Er gehört meinem Chef. Toby King, dem Besitzer des King’s Pub .«
Garrison nickte. »Sie arbeiten in dem Wohnheim?«
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
Er ging ein paar Schritte auf sie zu, achtete jedoch darauf, ihr nicht zu nahe zu kommen. »Vor wenigen Minuten habe ich mit Sally Walton gesprochen. Sie hat Sie beschrieben.«
»Sie haben Sally gesehen?«
»Ja. Ihr ist nichts passiert.«
Die Kehle war Eva auf einmal nicht mehr ganz so eng. »Gut.«
»Wie viele Personen befanden sich gestern im Wohnheim?«
Garrison war deutlich über eins achtzig groß, und sie musste den Hals recken, um ihm in die Augen zu sehen. »Fünf oder sechs wurden erwartet. Aber oft tauchen noch mehr auf, wenn es dunkel ist. Ich war spät dran, also weiß ich es nicht.«
»Wo waren Sie?«
»Ich überbringe Vorladungen vom Gericht. Sie können meinen Chef fragen, Luke Fraser von LTF .«
»Das werde ich tun.«
Eva widerstand dem Drang, die Arme um sich zu schlingen. Es gab keinen Grund, in Verteidigungshaltung zu gehen. Manchmal gab man einem Verdacht sogar zusätzliche Nahrung, wenn man defensiv klang. »Prima.«
Garrison rührte sich nicht von der Stelle, offensichtlich war er noch nicht fertig. »Wissen Sie, wer hier übernachtet hat?«
»Ich kann eine Liste von den Leuten machen, die hier waren. Wir haben Stammgäste, aber genau kann ich es nicht sagen. Wusste Sally es nicht?«
»Doch. Ich möchte nur sichergehen.« Er reichte ihr einen Notizblock, den er aus der Tasche gezogen hatte. »Schreiben Sie sie auf.«
Mit steifen Fingern nahm Eva den Stift und schrieb die Namen in ordentlicher, gestochener Handschrift auf. »Ich weiß nicht, ob das echte oder erfundene Namen sind. Manchmal lügen unsere Bewohner.«
»Tun Sie, was Sie können.« Er roch nach Seife. Kein Aftershave. Kein Schnickschnack. Die ordentlich geschnittenen Fingernägel und das gestärkte Hemd vermittelten einen zugeknöpften, pedantischen Eindruck, wäre da nicht die Energie gewesen, die er ausstrahlte und die er anscheinend kaum zügeln konnte.
Sie gab Garrison den Notizblock zurück und achtete darauf, ihn nicht zu berühren. »Ist jemand umgekommen?«
»Es gab einen Todesfall.«
»Oh Gott. Wer?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Wissen Sie, wie das Feuer ausgebrochen ist?«
»Ich hatte gehofft, das könnten Sie mir sagen.«
»Ich? Ich war doch gar nicht hier.« Dieser Augenblick erinnerte sie an eine Nacht vor zehn Jahren. Polizisten warfen ihr Suggestivfragen an den Kopf und unterbrachen sie, wenn die Antworten nicht ihren Erwartungen entsprachen.
»Kommen Sie schon, Eva, die anderen Mädchen haben uns gesagt, dass Sie etwas mit Cross hatten.«
Sie war seit mehr als sechsunddreißig Stunden wach und konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Alles tat ihr weh. Sie wollte nur noch nach Hause. »Das stimmt nicht.«
»Die Mädchen haben es gesagt.«
»Sie haben gelogen.« Sie war so müde, dass die Worte undeutlich klangen.
Der Sheriff beugte sich so dicht zu ihr heran, dass sie seinen Schweißgeruch roch, der sich mit dem Duft
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