Das Flüstern der Albträume
war ihr das auch gelungen. Sie stand kaum jemals mehr vor dem Spiegel und starrte auf die Narbe an ihrer Schulter oder weinte nachts, wenn sie sich allein fühlte. Als Josiah sie vergewaltigt hatte, hatte er das unschuldige Mädchen in ihr getötet. Und das Gefängnis hatte aus dem verletzten Mädchen eine härtere, stärkere Frau gemacht.
Aber jetzt verlangte die Vergangenheit mit aller Macht ihre Aufmerksamkeit. Wer hatte Lisa und Sara das angetan? Sie so grausam zu töten. Das hätte sie niemandem gewünscht.
Sie hatte geglaubt, wenn Darius Cross tot war, würde sie heimkehren und einen Teil des Lebens fortsetzen können, das sie hatte aufgeben müssen. Aber vielleicht war es ein Fehler gewesen, zurückzukommen.
Sie war immer noch voller Panik, als sie Bobby nach oben brachte und ihn zum Schlafengehen fertig machte. Er kroch unter die Decke.
»Soll ich dir eine Geschichte vorlesen?«, fragte sie.
»Ich habe schon alle Bücher durchgelesen.«
»Alle? Das ist ja toll. Dann suchen wir morgen noch welche für dich. Vielleicht ein Buch mit mehr Text, oder etwas, das wir abends zusammen lesen können.«
»Okay.« Er wirkte eher zurückhaltend als begeistert.
»Ich weiß, es ist schwer, an Versprechen zu glauben, Bobby. Aber ich verspreche dir heute Abend nichts besonders Großes. Nur ein neues Buch und ein bisschen Vorlesen. Etwas ganz Einfaches.«
»Okay.«
Nicht gerade überschwänglich, aber ein klein bisschen weniger trotzig. Ein Kuss auf die Wange schien ihr immer noch übertrieben. Er war nicht ihr Kind. Sie beide wussten, dass ihre Beziehung vorübergehend sein konnte, und je weniger Bindungen, desto besser. Sie entschied sich für ein Streicheln über den Kopf.
Eva ließ das Licht an, ging zurück in den Pub und arbeitete bis zum Ende ihrer Schicht. Als sie kurz nach Mitternacht die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg, hatte sie sich selbst überzeugt, dass es keine gute Idee war, in der Gegend zu bleiben.
Sie durfte nicht zulassen, dass ihre Vergangenheit ihr ganzes Leben überschattete.
Sie ging ins Bad und schloss die Tür, bevor sie Licht machte, um sich Gesicht und Hände zu waschen.
Eva musterte sich im Spiegel, so wie sie es schon unzählige Male getan hatte seit der Vergewaltigung.
Als es klopfte und sie die Tür öffnete, sah sie Bobby davor stehen. Er trug eins von Kings weiten schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck Schwerenöter und rieb sich die Augen .
»Eva?«
»Hey. Wieso bist du auf?«
»Du gehst doch nicht weg, oder?«
»Wieso sagst du das?«
»Du hast heute Abend böse ausgesehen.«
»Ich bin nicht böse. Nur müde.«
»Habe ich irgendwas falsch gemacht?«
Sie kniete sich vor ihn hin. »Nein, Schätzchen, du hast nichts falsch gemacht.«
»Du verlässt mich also nicht.«
Was konnte sie ihm schon sagen? Sie war nicht seine Familie. Nicht einmal für King gehörte sie zur Familie. Sie war eine Untermieterin ohne Wurzeln. Ohne Pläne. Ohne Alibi.
Aber er würde nichts davon hören. Alles, was er hören würde, war, dass sie ihn nicht wollte. Und das konnte sie ihm einfach nicht antun. Nicht jetzt.
»Heute Nacht gehe ich nirgendwohin. Nicht heute Nacht.«
»Wirklich?«
»Ja. Wirklich.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht, dann drehte er sich um und ging. Die Wärme seiner Finger haftete an ihren, noch lange, nachdem sie zu Bett gegangen war.
In diesen letzten sechs Monaten hatte sie sich treiben lassen. Es wurde Zeit, damit aufzuhören. Zeit, in der Vergangenheit zu graben und wirklich für das zu kämpfen, was sie wollte.
12
Freitag, 7. April, 8:02 Uhr
Garrison und Malcolm trafen wenige Minuten nach Beginn der Arbeitszeit in der Werbeagentur ein, bei der Sara Miller beschäftigt gewesen war. Die verchromten Türen des Aufzugs öffneten sich zu einem glänzenden Empfangsschreibtisch und einem Schild mit der Aufschrift A GENTUR F AIRCHILD. Am Empfang saß eine junge Frau. Sie war schlank und gut gekleidet und sah aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entsprungen. Sie blickte von ihrem Computerbildschirm auf. »Kann ich Ihnen helfen?«
Garrison zückte seine Dienstmarke. »Wir würden gerne mit Sara Millers Vorgesetztem sprechen.«
»Sara ist heute nicht gekommen.«
Garrison nickte. »Ich weiß. Wer ist ihr Chef?«
»Ross Fairchild. Er ist in einem Meeting.«
Garrison steckte seine Marke wieder ein und lächelte. »Ich möchte Sie bitten, das Meeting zu unterbrechen.«
Die junge Frau hob die gezupften Augenbrauen und ließ ihre Stimme streng klingen. »Es
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