Das Flüstern der Albträume
Anwalt meines Vaters Beweise zutage, dass die beiden eine Beziehung hatten.«
»Hatten sie das denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie waren beim Prozess anwesend?«
»Nein. Mein Vater schickte mich währenddessen nach Europa.« Er seufzte. »Ich weiß allerdings, dass Eva Rayburn aus dem Gefängnis entlassen wurde und wieder in Alexandria ist.«
»Woher wissen Sie das?«
»Vater hat die Gefängnisverwaltung beauftragt, uns zu benachrichtigen, sobald sie freigelassen wurde. Als Familie des Opfers hatten wir ein Recht, es zu erfahren. Man sagte mir, sie sei wieder hierher gezogen.«
»Seit wann wissen Sie das?«
»Man hat es mir ein paar Tage nach ihrer Rückkehr mitgeteilt.«
»Ihnen ist doch sicher bekannt, dass Ms Miller eine der jungen Frauen war, die gegen Eva ausgesagt haben.«
Micah zog eine Augenbraue hoch. »Sie hat mir nie ein Wort davon gesagt.«
»Erinnern Sie sich nicht an sie, von dem Prozess?«
»Ich erinnere mich an fast gar nichts von dem Prozess. Ich war damals in Europa.« Micah Cross war entweder ein guter Schauspieler oder ein begnadeter Lügner.
»Wussten Sie, dass Sara mit Ihrem Bruder auf dem Price war?«
»Nein. Wir haben nie über ihre Collegezeit gesprochen.«
»Sie wissen, dass Ms Rayburn in Alexandria ist, aber Sie wissen nicht, dass Ms Miller aufs Price gegangen ist?«
»Das ist richtig.«
»Worüber haben Sie mit Ms Miller gesprochen?«
»Über Geschäftliches. Und darüber, dass sie in ein oder zwei Tagen nach New York in die dortige Niederlassung von Fairchild fahren und erst in ein paar Wochen zurückkommen wollte.«
»War Ihr Bruder vorher jemals gewalttätig gewesen?«
»Ja. Vater war gut darin, das zu vertuschen, aber es hatten bereits andere Mädchen Josiah verklagt. Der Richter verfügte nicht über diese Information, aber schon allein, wenn man sich die Auflistung von Ms Rayburns Verletzungen ansah, war es offensichtlich, dass Josiah bei ihr die Beherrschung verloren hatte.«
»Hat er jemals Ihnen gegenüber die Beherrschung verloren?«
Micahs Blick verdunkelte sich. »Noch einmal, was hat das alles mit Sara Millers Tod zu tun?«
»Wo waren Sie vorletzte Nacht?«
»Bei einer Benefizveranstaltung. Umgeben von fünfzig meiner engsten Freunde. Möchten Sie eine Liste?«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«
»Ich lasse sie Ihnen von meiner Sekretärin zuschicken.«
»Danke.«
»Mein Bruder ist ermordet worden, und jetzt auch noch eine Geschäftspartnerin von mir. Warum fühle ich mich wie ein Tatverdächtiger?«
Garrison grinste. »Ich weiß es nicht.«
Lou saß summend im abgedunkelten Keller vor dem Feuer, das im Ofen knisterte und knackte. Die zuckenden Flammen schufen einen unwiderstehlichen hypnotischen Zauber. Im Licht des Feuers betrachtete Lou das Foto des Säuglings, so rotgesichtig und verschrumpelt in den ersten Stunden seines Lebens.
Lou streichelte das Bild und erinnerte sich an den schwachen Milchduft, der dem Jungen angehaftet hatte, an sein Glucksen, wenn er getrunken hatte und bereit war für ein Schläfchen.
»Ich habe dich zu früh verloren. Viel zu früh. Und ich hasse sie dafür, dass sie dich mir genommen haben. Mein süßer, süßer Junge.«
Tränen stiegen Lou in die müden Augen und liefen über die von der Hitze des Feuers geröteten Wangen. »Aber wir werden ihnen allen zeigen, dass sie uns in Ruhe hätten lassen sollen. Sie hätten dich mir nicht nehmen dürfen.«
Lou hob den Blick und schaute wieder in die Flammen. Die Sache ging viel schneller voran als ursprünglich geplant. Eigentlich hätte sich das alles länger hinziehen müssen, damit die, die noch übrig waren, Zeit hatten, sich zu fürchten und zu rätseln, ob sie als Nächstes an der Reihe waren. Doch der Plan hatte geändert werden müssen, weil die eine Frau eine ausgedehnte Reise antreten wollte. Selbstsüchtiges Luder. Es sah diesen Verbindungsmädchen ähnlich, einfach zu tun, wozu sie Lust hatten, selbst wenn sie damit jemand anderem auf die Füße traten.
Zwei von ihnen waren tot. Doch es gab noch mehr, die bezahlen mussten. Noch mehr, die den Schmerz des Brenneisens und die scharfe Spitze des Messers spüren würden.
Wenn sie alle gelitten hatten und tot waren, konnte Lou vielleicht endlich den Schmerz loslassen, der sie in all den Jahren so gequält hatte. Vielleicht …
Garrison suchte Macy LaPorta in der Feuerwache auf. Sie war vor langer Zeit befördert worden und hätte, da sie nun in der Verwaltung arbeitete, mit dem Schichtdienst aufhören können,
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