Das Flüstern der Albträume
nichts von dem herausgefordert, was mir zugestoßen ist.«
Sallys Stimme wurde ganz sanft. »Was ist denn passiert?«
Eva hatte nie über die Vergewaltigung gesprochen. Es hatte einen einzigen Polizeibeamten gegeben, der freundlich zu ihr gewesen war, doch sobald Darius Cross davon gehört hatte, hatte er den Polizisten von dem Fall abziehen lassen. Ab dem Zeitpunkt hatte ihr niemand mehr beigestanden. »Ich wurde vergewaltigt.«
Sally sah Eva schweigend an, ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. »Das tut mir leid.«
Wenn Sally Mitgefühl gezeigt hätte, wie ihre Schwester es getan hatte, hätte Eva vollkommen die Fassung verloren. Trotzdem lud Sallys Schweigen die Atmosphäre mit Emotionen auf, die dazu führten, dass Eva lange unterdrückte Tränen in die Augen stiegen. Sie wischte sie fort. »Gott, es ist über zehn Jahre her. Man sollte meinen, dass ich inzwischen darüber hinweg bin.«
»So etwas ist eine schlimme Sache und nicht so leicht zu vergessen, Liebes.«
»Ich dachte wirklich, ich hätte das Trauma verarbeitet. Es war nicht meine Schuld. Es ist ohne mein Zutun geschehen. Aber als ich heute mit Kristen geredet habe … da habe ich mich gefühlt, als hätte man mich noch einmal vergewaltigt.«
»Wieso das?«
»Sie hat mich eine Lügnerin genannt. Sie sagte, ich hätte das, was passiert ist, provoziert.«
Sally zog die Augenbrauen zusammen. »Wieso war sie so gemein?«
»Ich bin ihren eigenen Geheimnissen ein bisschen zu nahe gekommen.«
»Ihren Geheimnissen?« Sally blieb wortkarg, beugte sich jedoch leicht vor, als wartete sie auf eine Pointe. Und so sehr die ganze Geschichte danach schrie, erzählt zu werden, Eva konnte es nicht.
»He, ich hätte gar nicht erst davon anfangen sollen.«
Sally zuckte die Schultern. »Sei nicht so streng mit dir, Süße.«
Eva fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar. »Ich hätte nicht zu ihr gehen dürfen.«
»Warum hast du es dann getan?«
»Weil zwei College-Freundinnen von uns ermordet worden sind. Ich dachte, sie weiß vielleicht etwas.«
»Und, hast du etwas herausgefunden?«
»Nichts, was ich beweisen könnte. Und sie geht demnächst nach New York und fängt ein ganz neues Leben an.«
Sally nippte an ihrer Cola. »Genug von der Vergangenheit. Was hast du heute für Eva getan?«
»Was meinst du damit?«
»Hast du etwas gehört wegen des Stipendiums?«
»Sie haben mir eine Absage erteilt.«
»Das wundert mich aber. Du bist doch so begabt.«
»Begabt zu sein, reicht nicht immer.« Eva nahm eine fast leere Erdnussschale, warf die restlichen Nüsse weg und füllte die Schale wieder auf.
Bobby kam durch die Küchentür und brachte Eva eine Packung Servietten. So herausgeputzt und in der Kleidung, die King vom Dachboden geholt hatte, sah der Junge ganz anders aus als sonst. »King hat gesagt, ich soll dir die Servietten bringen und dir sagen, dass ich der Katze gleich wieder Futter hinstelle.«
Eva lächelte. »Hey, ich könnte noch ein Glas Oliven brauchen. Und im Kühlschrank ist angebrochener Thunfisch für dein Kätzchen.«
Bobby nickte. »Ich bring dir die Oliven gleich.«
Als er sich zum Gehen umwandte, fragte Sally: »Und wer ist dieser junge Mann?«
Bobby drehte sich nervös zu Sally um, doch anstatt stehen zu bleiben und etwas zu ihr zu sagen, huschte er zurück in die Küche.
Eva runzelte die Stirn. Unvermittelt fiel ihr ein, was ihre Mutter ihr über höfliches Benehmen beigebracht hatte. Sie hatte das Gefühl, sie müsste Bobby zurückholen, damit er Sally guten Tag sagte, aber er war nicht ihr Kind, und sie war ganz bestimmt nicht so etwas wie eine Mutter. Und Sally war im Grunde Sozialarbeiterin und würde wahrscheinlich das Jugendamt benachrichtigen, wenn sie von Evas Vorstrafe erfuhr. »Tut mir leid. Das war unhöflich von ihm.«
Sally zuckte die Achseln, wobei ihr Blick immer noch auf der Tür ruhte, durch die der Junge verschwunden war. »Kein Problem. Wessen Kind ist das?«
Eva mochte Sally, doch sie kannte sie nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie sie reagieren würde. »Er ist Kings Pflegekind.«
»Er ist niedlich. Erinnert mich an meinen Sohn.«
Das versetzte Eva in Erstaunen. »Du hast mir nie erzählt, dass du einen Sohn hast.«
»Ja, er ist ein toller Junge. Schon erwachsen. Vielleicht lernst du ihn irgendwann mal kennen.«
Die SMS von Jim Walters kam um Punkt achtzehn Uhr. Angie steckte bis zum Hals in Aktenbergen und kämpfte immer noch gegen Kopfschmerzen. Ihr Magen hatte sich inzwischen jedoch
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