Das Flüstern der Nacht
»Tod« die Prophezeiung erfüllt.
»Ich glaube nicht, dass die dama es einer Frau erlauben würden, einen chin ohne Stammeszugehörigkeit zu heiraten«, wandte der Par’chin ein.
Jardir wedelte mit der Hand. »Unsinn«, wehrte er ab. »Wir beide haben zusammen im Labyrinth Blut vergossen, mein Bruder. Wenn ich dich in meinen Stamm aufnehme, würde selbst der Andrah es nicht wagen, dagegen zu protestieren!«
»Ich denke, ich bin noch nicht bereit, mir ein Weib zu nehmen«, erklärte der Par’chin kurz und bündig.
Jardir runzelte die Stirn. So nahe sie sich mittlerweile standen, der Nordländer verblüffte ihn immer wieder. Die Krieger seines Volkes waren nicht nur auf dem Schlachtfeld mit Leidenschaft bei der Sache, und sie lebten ihre sinnlichen Gelüste aus. Bis jetzt hatte er noch keine Anzeichen dafür bemerkt, dass der Par’chin die Gesellschaft von Männern bevorzugte, doch er schien sich mehr für den Kampf zu interessieren als für die Belohnung, die rechtmäßig allen zustand, die den Sonnenaufgang erlebten.
»Nun ja, warte damit aber nicht zu lange, sonst halten die Männer dich noch für einen push’ting «, erwiderte er. Vor Everam galt es nicht als Sünde, mit einem anderen Mann zu schlafen, aber push’ting - die »unechten Frauen« - verschmähten Frauen gänzlich und verweigerten so ihrem Stamm künftige Generationen - etwas, das sein Volk sich nicht leisten konnte.
»Wie lange bist du schon in der Stadt, mein Freund?«, erkundigte sich Jardir.
»Erst seit ein paar Stunden«, antwortete der Par’chin . »Ich habe gerade Briefe und Pakete im Palast abgegeben.«
»Und schon kommst du, um uns deinen Speer anzubieten!«, rief Jardir mit erhobener Stimme, damit jeder ihn hören konnte. »Bei Everam, der Par’chin muss krasianisches Blut in sich haben!« Die Männer, die sich in ihrer Nähe aufhielten, lachten.
»Geh ein Stück mit mir«, forderte Jardir den Par’chin auf, legte einen Arm um seine Schultern und ging in Gedanken den Schlachtplan der kommenden Nacht durch. Er überlegte bereits, an welcher ehrenvollen Position er seinen tapferen Freund einsetzen konnte.
»Die Bajin haben letzte Nacht einen Mann verloren, der die Siegel für die Gruben anfertigte«, erklärte er. »Du könntest ihn ersetzen.«
»Ich wäre aber lieber ein Angreifer«, meinte der Par’chin .
Jardir schüttelte den Kopf, doch er lächelte. »Es drängt dich immer zu den riskantesten Aufgaben«, scherzte er. »Wer soll unsere Briefe befördern, wenn du getötet wirst?«
»Diese Nacht wird nicht so gefährlich«, behauptete der Par’chin . Er wickelte einen Gegenstand aus den Stoffbahnen, mit denen er umhüllt war, und zeigte Jardir einen Speer.
Aber es war nicht irgendein Speer. Er bestand aus einem silbern schimmernden Metall, und die längs der Spitze und des Schaftes eingeätzten Siegel funkelten im Sonnenlicht. Mit geschultem Blick betrachtete Jardir die Waffe, und sein Herz begann heftig zu klopfen. Viele der Zeichen waren ihm nicht vertraut, aber er konnte die Macht spüren, die von ihnen ausging.
Stolz stand der Par’chin da und wartete auf eine Erwiderung. Jardir bemühte sich, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, und er blinzelte ein paarmal, in der Hoffnung, sein Freund hätte den begehrlichen Glanz in seinen Augen nicht gesehen.
»Eine Waffe für einen König«, stimmte er zu, »aber es ist der Krieger, der im Kampf zählt, Par’chin , und nicht der Speer.« Er legte dem Par’chin seine Hand auf die Schulter und blickte ihm ins Gesicht. »Vertraue nicht zu sehr auf deine Waffe. Ich habe erfahrenere Krieger als dich gesehen, die ihre Speere mit Zeichen bemalten und dennoch ein bitteres Ende fanden.«
»Ich habe diesen Speer nicht angefertigt«, erklärte ihm der Par’chin . »Ich fand ihn in den Ruinen von Anochs Sonne.«
Jardirs wild pochendes Herz setzte einen Takt aus. Konnte das wahr sein? Er rang sich ein Lachen ab.
»Dem Geburtsort des Erlösers?«, fragte er. »Der Speer des Kaji ist ein Mythos, Par’chin , und die verlorene Stadt ist im Sand versunken.«
Der Par’chin schüttelte den Kopf. »Ich war da«, behauptete er. »Und ich kann dich dorthin führen.«
Jardir zögerte. Der Par’chin war kein Lügner, und in seiner Stimme schwang kein schelmischer Unterton mit. Er sagte die Wahrheit. Ein flüchtiges Bild huschte durch seinen Kopf; er sah sich und den Par’chin draußen in der Sandwüste, wie sie die uralten Kampfsiegel wiederentdeckten. Nur mit großer
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