Das Flüstern der Nacht
zugeschnappt, und von jetzt an nahmen die Dinge ihren Lauf. »Der Speer des Kaji gehört in die Hände des Shar’Dama Ka «, antwortete er. »Und der bist du nicht.«
»Ich will nicht gegen euch kämpfen«, erwiderte der Par’chin .
»Dann lass es sein.« Jardir schlug einen milden Ton an. »Gib mir die Waffe, nimm dein Pferd und verlasse uns, wenn der Morgen dämmert. Und komm nie wieder hierher zurück.« Für dieses Angebot würde Inevera ihn einen Narren schelten. Selbst seine Leutnants begannen überrascht zu murmeln, doch das kümmerte ihn nicht. Er betete, sein Freund würde auf den Vorschlag eingehen, obwohl er in seinem Herzen wusste, dass er es nicht tun würde. Der Sohn des Jeph war kein Feigling. Aus der Dämonengrube hinter ihm ertönte ein hässliches Knurren. Den Par’chin erwartete der Tod eines Kriegers.
Er wehrte sich verbissen, als die dal’Sharum über ihn herfielen, brach einigen von ihnen die Knochen, aber scheute sogar jetzt noch davor zurück, einen Mann zu töten. Jardir beteiligte sich nicht an dem Kampf, sondern hielt sich abseits und verging vor Scham.
Schließlich gelang es ihnen, den Par’chin zu überwältigen. Während Hasik und Shanjat ihn festhielten, bückte sich Jardir, um den Speer aufzuheben. Sobald sich seine Finger um den Schaft schlossen, spürte er die Macht, die dieser Waffe innewohnte, und ein Gefühl von Verbundenheit durchflutete ihn, als sei er der rechtmäßige Besitzer. Es war tatsächlich der Speer des Kaji, dessen siebter Sohn der erste Jardir gewesen war.
»Es tut mir wirklich leid, mein Freund«, sagte er. »Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg.«
Der Par’chin spuckte ihm ins Gesicht. »Everam ist Zeuge deines Verrats!«
Ein unbändiger Groll brodelte in Jardir hoch. Der Par’chin glaubte nicht an einen Himmel, aber er brachte den Namen des Schöpfers ins Spiel, wenn dies seinen Zwecken diente. Er hatte weder Weiber noch Kinder, gehörte keiner Familie und keinem Stamm an, aber er bildete sich ein, er wüsste, was für alle das Beste sei. Seine Anmaßung kannte keine Grenzen.
»Nimm Everams Namen nicht in den Mund, chin «, zischte Jardir. »Ich bin sein Sharum Ka , nicht du. Ohne mich ist Krasia verloren.«
Im ersten Licht der Morgendämmerung ritten sie heimlich aus der Stadt. Die meisten alagai waren bereits in den Abgrund zurückgekehrt, aber ein Sanddämon musste sie gehört und ihnen aufgelauert haben, denn nur wenige Minuten bevor der Morgen anbrach, sprang er sie aus dem Schatten einer Düne heraus an.
Jardir war gerüstet, und die Verteidigungssiegel am Speerschaft blitzten auf, als er den Angriff parierte. Der alagai wurde zu Boden geworfen und spähte auf den heller werdenden Himmel, doch ehe sich seine stoffliche Gestalt auflösen konnte, sprang Jardir von seinem Pferd und spießte ihn auf.
Ein flirrendes Licht umtanzte die Speerspitze, als sie sich durch den geschuppten Panzer des Dämons bohrte, und Jardir konnte fühlen, wie die Waffe in seiner Hand lebendig wurde. Ein Schock durchlief ihn, wie von Ineveras Blitze schleuderndem Stein, doch anstelle entsetzlicher Schmerzen empfand er dieses Mal eine Aufwallung von Ekstase. Er kam sich stärker vor und schneller. Alte Beschwerden von Verletzungen, die so lange zurücklagen, dass er sie schon vergessen hatte, Schmerzen, an die er so gewöhnt war, dass sie ihm gar nicht mehr auffielen, flauten urplötzlich ab und machten erst durch ihr Verschwinden wieder auf sich aufmerksam. Er fühlte sich unsterblich. Unbesiegbar. Mühelos holte er mit den Armen Schwung und ließ den toten Dämon dreißig Fuß weit durch die Luft fliegen, damit er am Boden liegend den Sonnenaufgang erwarten konnte.
Nachdem er den alagai zur Strecke gebracht hatte, klang das Gefühl von Macht rasch wieder ab, doch das körperliche Wohlbefinden blieb. Jardir war über dreißig, und auf einmal erinnerte er sich daran, wie er sich mit zwanzig gefühlt hatte, und wunderte sich, wie er diese Empfindung jemals hatte vergessen können.
Und das alles, nachdem ich nur einen einzigen Dämon getötet habe, sinnierte er. Was muss in dem Par’chin vorgegangen sein, als er im Labyrinth Dutzende von alagai erlegt hat?
Aber die Antwort darauf würde er nie erfahren, denn sie ließen den bewusstlosen Par’chin mit dem Gesicht nach unten auf den Dünen liegen, wenige Augenblicke vor Sonnenaufgang. Sie waren Meilen von der Stadt entfernt, und um das nächste Dorf zu erreichen, musste man länger als einen Tag
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