Das Flüstern der Nacht
marschieren.
Jardir blickte auf den reglosen Mann herab, und plötzlich fielen ihm dessen Worte wieder ein. Everam ist Zeuge deines Verrats!, hatte er geschrien.
»Warum bist du nicht gegangen, als ich dich darum gebeten habe, mein Freund?« Eine weitere Frage, die der Par’chin ihm nicht mehr beantworten konnte.
Traurig betrachtete Jardir seinen Freund, während Hasik und Shanjat sich wieder auf ihre Pferde schwangen. Er nahm den Schlauch mit kühlem Wasser von seinem Sattelhorn und warf ihn, so dass er mit einem dumpfen Knall neben der ausgestreckten Gestalt des Nordländers im Sand landete.
»Was tust du da?«, fragte Ashan. »Wir sollten ihn jetzt lieber töten, anstatt ihm zu helfen.«
»Ich ermorde keinen ohnmächtigen Krieger«, entgegnete Jardir. »Das Wasser reicht nicht aus, um die Wüste zu durchqueren, bis er irgendwo Unterstützung findet. Aber wenn er wieder zu sich kommt, wird er es trinken, und wenn ihn dann die alagai angreifen, stirbt er aufrecht wie ein Mann und erhält Einlass ins Paradies.«
»Und was ist, wenn er in die Stadt zurückkehrt?«, fragte Shanjat.
»Postiere tagsüber Mehnding auf den Mauern. Wenn sie ihn sehen, sollen sie ihn erschießen«, befahl Jardir.
Er blickte zurück. Aber du kommst nicht angekrochen, Par’chin, dachte er. Du hast das Herz eines Sharum und gehst in den Tod, während du mit deinen bloßen Händen gegen alagai kämpfst.
»Er ist ein chin «, gab Ashan zu bedenken. »Ein Ungläubiger. Wie kommst du darauf, dass Everam ihn im Himmel willkommen heißen wird?«
Jardir hob den Speer, der das Licht der aufgehenden Sonne einfing. »Weil ich der Shar’Dama Ka bin, und ich sage, dass es so ist!«
Die anderen starrten ihn verdattert an, doch niemand widersprach ihm.
Ihm fiel wieder ein, was Inevera noch wenige Stunden zuvor prophezeit hatte.
Wenn der Morgen dämmert, erklärst du dich selbst zum Shar Dama Ka .
Noch einmal drehte er sich um und betrachtete den reglos im Sand liegenden Par’chin .
Finde einen ehrenvollen Tod, betete er. Wenn wir uns im Himmel wiederbegegnen, und ich habe nicht unser beider Traum erfüllt, rechnen wir miteinander ab.
Er wendete sein Pferd und ritt zur Stadt zurück.
Zu seiner Stadt.
9
Shar’Dama Ka
329 NR
K einen Schritt weiter, Verräter!«, schrie dama Everal und stellte sich vor den Eingang zum Thronsaal des Andrah . Von allen Söhnen des Andrah war er der älteste, würde nach Amadeverams Tod höchstwahrscheinlich zum Damaji aufsteigen und danach vermutlich Andrah werden. Mit fünfzig Jahren war er immer noch ein robuster Mann, in seinem schwarzen Haar zeigte sich keine Spur von Grau, und er galt als ein unübertroffener sharusahk -Meister.
Außerdem war er der letzte der Söhne des Andrah , den er würde töten müssen, ehe er dem fetten alten Mann den Bauch aufschlitzen konnte.
Noch kein Monat war vergangen, seit sich Jardir, über und über besudelt mit Dämonenblut, im Labyrinth zum Erlöser erklärt hatte. Drei Viertel der Sharum hatten sich auf der Stelle zu ihm bekannt. Ebenso die Hälfte der dama , und mit jedem Tag wurden es mehr. Die übrigen scharten sich um ihre Damaji , die anfangs versuchten, ihre eigenen Paläste zu verteidigen; doch als Jardirs Macht wuchs, flohen sie durch die Untere Stadt und verbarrikadierten sich hinter den Palastmauern des Andrah .
Die Unterwerfung hätte bereits in wenigen Tagen beendet sein können, anstatt sich über Wochen hinzuziehen, doch in jeder Nacht
ließ Jardir das Horn des Sharak ertönen, das die Krieger ins Labyrinth rief. Mittlerweile besaß auch der gemeinste Soldat einen Speer mit Kampfsiegeln, und die alagai begrüßten scharenweise die Sonne.
Der Andrah und die Damaji , die die Nacht dazu nutzen konnten, sich neu zu formieren, hielten das zuerst für einen großen Vorteil, doch sie hatten nicht damit gerechnet, dass die restlichen Sharum dies als Schande auffassen würden; während ihre Anführer ihnen die Teilnahme am alagai’sharak verwehrten, heimsten Jardirs Männer grenzenlosen Ruhm ein. Allnächtlich liefen Krieger über und wurden im Labyrinth ohne Einschränkung willkommen geheißen. Schließlich gab es nicht einmal mehr genügend Männer, um die Mauern des Andrah -Palastes zu sichern. Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung hatten Jardirs Anhänger das große Portal eingenommen und bald darauf die Palasttore gesprengt. Jetzt stand nur noch ein einziger Mann zwischen Jardir und seinem Wunsch nach Vergeltung.
»Verzeih, dama «,
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