Das Flüstern der Nacht
deine Schülerin Kendall bei mir«, begann sie nun ein Gespräch. »Ein hübsches Mädchen.«
Rojer nickte. »Und meine beste Schülerin.«
»Sie fragte mich, ob ich wüsste, wie man einen Liebestrank braut«, fuhr Leesha fort.
»Ha!«, bellte Rojer. Dann blieb er abrupt stehen und sah sie an. »Moment mal, kannst du das vielleicht wirklich?«
Leesha lachte. »Natürlich nicht. Aber Kendall braucht das nicht zu wissen. Ich gab ihr etwas süßen Tee und riet ihr, ihn gemeinsam mit dem Mann zu trinken, den sie gern zu ihrem Liebhaber hätte. Wart’s nur ab, ob sie dir nicht den Tee anbietet, dann kannst du dich auf eine Nacht voller Zärtlichkeiten gefasst machen.«
Rojer schüttelte den Kopf. »Lass dich nie mit einem Schüler ein.«
»Ist das noch einer von Meister Arricks brillanten Leitsätzen?«, stichelte Leesha.
Rojer nickte ernst. »Und es freut mich, sagen zu dürfen, dass er diese Weisheit nicht nur predigte, sondern sich auch danach richtete. In der Gilde habe ich Schüler kennengelernt, die mit ihren Meistern nicht so viel Glück hatten.«
»Aber das kann man doch nicht miteinander vergleichen«, meinte Leesha. »Kendall ist fast so alt wie du, und sie ist diejenige, die Liebestränke kauft.«
Roger zuckte die Achseln, schlug die Kapuze über den Kopf und zog die Ränder seines bunten Umhangs zusammen, um das Siegelnetz zu stärken. Der letzte Lichtschimmer war verblasst, und überall in ihrer Nähe stiegen nebelhafte Gestalten aus dem Schnee
und verfestigten sich zu zischenden, umherirrenden Horclingen, die in der Luft ihre Witterung aufnahmen, ohne sie jedoch sehen zu können.
Erny hatte sein Haus in einiger Entfernung vom Dorf gebaut, um zu verhindern, dass Nachbarn sich über den Gestank der Chemikalien beschwerten, die er zur Papierherstellung brauchte. Aber das bedeutete auch, dass es außerhalb des großen Bannsiegels stand, das den Ortskern schützte.
Ein Baumdämon kreuzte Rojers Weg und sog schnüffelnd die Luft ein. Rojer erstarrte; er wagte nicht, sich zu rühren, solange der Horcling nach ihnen suchte. Leesha bemerkte unter seinem Umhang eine jähe Bewegung, und sie wusste, dass eines der mit Siegeln versehenen Wurfmesser, die er an seine Unterarme geschnallt hatte, in seine unversehrte Hand geglitten war.
»Geh einfach um ihn herum, Rojer«, riet Leesha, die auf dem Pfad weitermarschierte. »Er kann dich weder sehen noch hören.« Auf Zehenspitzen schlich Rojer an dem Dämon vorbei, das Wurfmesser nervös in den Fingern. Schon als Kind hatte er gelernt, mit Klingen zu jonglieren, und er traf auf eine Distanz von zwanzig Schritt einen Horcling mitten zwischen die Augen.
»Es kommt mir so unnatürlich vor«, flüsterte er, »wenn man dreist wie der helle Tag durch eine Schar von Horclingen spaziert.«
»Wie oft müssen wir es noch tun, bis du es leid bist, diese Bemerkung zu machen?«, Leesha seufzte. »Unter diesen Umhängen sind wir so sicher wie in einem Haus.« Die Tarnumhänge waren ihre eigene Erfindung und basierten auf Siegeln der Verwirrung, die der Tätowierte Mann ihr beigebracht hatte. Leesha hatte die Siegel abgeändert und sie mit Goldfäden auf einen hübschen Umhang gestickt. Die Dämonen beachteten sie nicht, wenn sie ihn trug, nicht einmal dann, wenn sie direkt auf sie zuging, solange sie sich in einem langsamen, gleichmäßigen Tempo bewegte und sich fest in das Kleidungsstück einhüllte.
Als Nächstes fertigte sie einen Umhang für Rojer an. Die Siegel stickte sie in kräftigen Farben, die zu seiner bunten Jongleurskluft passten. Zu ihrer Freude legte er den Umhang nur selten ab, sogar tagsüber nicht. Der Tätowierte Mann hingegen schien den Umhang, den sie für ihn bestickt hatte, niemals zu tragen.
»Nichts gegen deine Siegel, aber ich glaube, dieser Satz wird noch oft über meine Lippen kommen«, entgegnete Rojer.
»Ich vertraue darauf, dass du uns mit deiner Fiedelmagie die Horclinge vom Leib halten kannst«, wandte Leesha ein. »Warum bist du so misstrauisch, wenn es um meine Zauberei geht?«
»Ich bin doch im Dunkeln hier draußen, oder nicht?«, versetzte Rojer und zupfte an seinem Umhang. »Ich find’s nur unheimlich. Nimm’s mir nicht übel, aber ich denke, deine Mutter hat nicht ganz Unrecht, wenn sie dich eine Hexe nennt.«
Leesha starrte ihn empört an.
»Zumindest bist du eine Bannhexe«, schränkte Rojer ein.
»Früher betrachtete man das Kräutersammeln auch als Hexerei«, erklärte Leesha. »Ich fertige lediglich Siegel an, wie jeder
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