Das Flüstern der Nacht
die Welt zu setzen, aus Angst, die dämonische Magie, die ihm seine ungeheure Kraft gab, könnte dem jungen Leben schaden.
Also hatte Leesha den Tee aufgebrüht, den sie nie hatte zubereiten wollen, und dafür gesorgt, dass der Samen der Banditen sich nicht in ihrem Leib festsetzen und zu einer Schwangerschaft führen konnte. Nachdem sie den Trank zu sich genommen hatte, weinte sie bitterlich über dem leeren Becher.
Die Erinnerung daran trieb ihr wieder die Tränen in die Augen, die in der Winternacht kalte Spuren auf ihren Wangen hinterließen. Rojer streckte die Hand aus, und sie glaubte, er wolle die Tränen abwischen, doch stattdessen wedelte er plötzlich mit einem bunten Taschentuch, als hätte er es aus ihrem Ohr gezogen.
Wider Willen musste Leesha lachen und benutzte das Tuch, um sich das Gesicht abzuwischen.
Als sie die Stadt erreichten, verfolgte sie ein halbes Dutzend Horclinge; außerhalb des magischen Raums, den ihre Umhänge erzeugten, beschnupperten sie verstört die Fußspuren, die Leesha und Rojer im Schnee hinterließen. Eine Frau am Rande der Schutzzone hob ihren Bogen, und mit Siegeln bedeckte Pfeile trafen die Dämonen wie Donnerkeile und töteten alle, die nicht rechtzeitig fliehen konnten.
Mittlerweile lernten alle jungen Frauen im Tal des Erlösers, mit Pfeil und Bogen umzugehen, und die Ausbildung begann, sobald sie imstande waren, diese Waffe zu halten. Viele der älteren Frauen, denen die Kraft fehlte, um einen Langbogen zu spannen, ließen sich beibringen, wie man mit einer geladenen Armbrust zielt, damit auch sie etwas zur Verteidigung des Ortes beitragen konnten. Die Frauen lösten einander bei Patrouillen am Stadtrand ab und töteten jeden Dämon, der sich zu nahe heranwagte.
Als sie in den Lichtkreis traten, sah Leesha, dass Wonda auf sie wartete. Angesichts ihrer Größe, der kräftigen Statur und ihres reizlosen Äußeren vergaß man leicht, dass das Mädchen sich erst ihrem fünfzehnten Sommer näherte. Ihr Vater, Flinn, war in der
Schlacht im Tal der Holzfäller ums Leben gekommen, und Wonda hatte schwere Verletzungen davongetragen. Sie war wieder vollständig genesen, obwohl sie entstellende Narben zurückbehielt, und während ihres Aufenthaltes im Hospital hatte sie sich eng an Leesha angeschlossen. Sie folgte ihr wie ein Hund, bereit, jeden Horcling zu töten, der sich ihr näherte. Den Bogen aus Eibenholz, den der Tätowierte Mann ihr geschenkt hatte, trug sie dauernd bei sich, und in ihren Händen war er eine absolut tödliche Waffe.
»Ich wünschte, du hättest mir erlaubt, dich zu begleiten, Meisterin Leesha«, rief Wonda ihr schon von weitem entgegen. »Du bist viel zu wichtig, um allein außerhalb der Bannzone herumzuspazieren.«
»Das sagt mein Vater auch immer«, gab Leesha zurück.
»Und er hat Recht, Meisterin«, bekräftigte Wonda.
Leesha lächelte. »Vielleicht nehme ich dich mit, wenn dein Tarnumhang fertig ist.«
»Wirklich?« Wonda machte große Augen. Viele, viele Arbeitsstunden waren nötig, um einen solchen Umhang herzustellen, und er war ein königliches Geschenk.
»Wenn du fest entschlossen bist, mir zu folgen wie ein Schatten«, erklärte Leesha, »bleibt mir wohl gar nichts anderes übrig, als dich richtig auszustaffieren und mitzunehmen. Letzte Woche habe ich meinen Schülerinnen das Muster gegeben, das sie auf den Umhang sticken.«
»Oh, vielen Dank, Meisterin!« Wonda schlang ihre langen Arme um Leesha und warf sich ihr auf eine kindliche Weise an die Brust, die gar nicht zu einem Mädchen passte, das größer und stärker war als die meisten Männer.
»Du drückst mir die Luft ab«, keuchte Leesha schließlich. Wonda ließ sie los und zog sich mit verlegener Miene zurück.
»Ist sie nicht ein bisschen jung, um nachts den Bannbereich zu verlassen?«, fragte Rojer leise, als sie in die Stadt hineinmarschierten. Die mit Kopfstein gepflasterten Straßen verliefen in unübersichtlichen
Windungen und Schlenkern, die oftmals Umwege darstellten, doch dadurch bildeten sie ein riesiges, kompliziertes Schutzsiegel, das der Tätowierte Mann persönlich entworfen hatte. Kein Horcling, ob groß oder klein, konnte durch den Boden, auf dem der Ort stand, nach oben steigen, von außen hereinkommen oder darüber hinwegfliegen. Die Straßen glühten in einem sanften Licht und waren von wärmender Magie erfüllt.
»Sie verlässt ihn doch jetzt schon«, erwiderte Leesha. »Allein in der vergangenen Woche hat Arlen sie zweimal dabei erwischt, wie sie auf
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