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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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mit und trugen sie weit fort, bis sie zumindest für kurze Zeit vergessen konnten, dass ihr Leben in Trümmern lag.
    Dieses Geschenk kam ihm sehr ärmlich vor, aber seine Musik war alles, was er geben konnte. Er legte seine Jongleurmaske an, diesen heiteren, undurchdringlichen Gesichtsausdruck, und ließ sich nicht anmerken, wie trist es in seinem Inneren aussah.
    Als er aufhörte zu musizieren, wartete Fürsorger Jona auf ihn. Der Heilige Mann war jung, noch keine dreißig, aber die Talbewohner hielten große Stücke auf ihn, und er hatte härter als alle anderen gearbeitet, um die Flüchtlinge mit dem Notwendigsten zu versorgen und ihre ärgste Not zu lindern. Nicht nur, dass er derjenige war, der sich hauptsächlich um die Beschaffung von Nahrungsmitteln und Unterkünften kümmerte, er mischte sich auch unter die Leute, fragte sie nach ihren Namen und vermittelte ihnen das Gefühl, dass sie nicht auf sich allein gestellt waren. Er betete für die Toten, suchte Pflegeeltern für Waisenkinder, verheiratete Paare, die die Tragödie zusammengeführt hatte.
    »Ich danke dir für die Musik«, wandte er sich nun an Rojer. »Man konnte förmlich spüren, wie sich die Stimmung der Leute hob, als sie dir zuhörten. Mir ging es genauso.«
    »Ich werde jeden Abend spielen, wenn ich nicht anderswo gebraucht werde«, bot Rojer an.
    »Gesegnet seist du«, erwiderte Jona. »Deine Musik gibt den Menschen neue Kraft.«
    »Ich wünschte, ich könnte mir selbst Kraft geben«, seufzte Rojer. »Manchmal glaube ich, meine Musik macht mich noch niedergeschlagener,
als ich ohnehin schon bin. Als würde ich immer trübsinniger, je heiterer meine Zuhörer werden.«
    »Unsinn!«, widersprach Jona. »Innere Stärke ist kein begrenztes Gut. Wer einem anderen Menschen Halt gibt, wird dadurch selbst nicht schwächer. Der Schöpfer gewährt uns allen Kraft, aber er lässt uns auch die Schwäche fühlen. Welcher Kummer macht dir denn zu schaffen, Kind?«
    »Kind?« Rojer lachte. »Ich bin kein Mitglied deiner Gemeinde, Fürsorger, und ich gehöre nicht der Schar der Hilfesuchenden an, die sich hier eingefunden haben. Ich habe meine Fiedel«, er hielt sein Instrument hoch, »und du hast dein Werkzeug.« Mit dem Bogen deutete er auf den schweren, in Leder gebundenen Kanon, den Jona in den Händen hielt.
    Rojer wusste, dass seine Bemerkung den Fürsorger kränkte und dass der Mann diese Herabsetzung nicht verdiente, aber seine Laune befand sich auf einem Tiefpunkt, und Jona hatte sich den falschen Augenblick ausgesucht, um ihn auf seine Sorgen anzusprechen. Er rechnete damit, dass der Heilige Mann ihn mit scharfen Worten zurechtweisen würde, die er genauso ruppig erwidern wollte.
    Aber Jona brauste niemals auf. Er steckte das Buch in ein Futteral, das er eigens für diese Zwecke bei sich trug, und breitete die Hände aus, um zu zeigen, dass sie leer waren. »Nun gut, dann spreche ich nicht als Fürsorger zu dir, sondern als ein Freund. Und als Mann, der deine Nöte versteht.«
    »Wie könntest ausgerechnet du meine Nöte verstehen?«, schnauzte Rojer.
    Jona lächelte milde. »Ich liebe sie auch, Rojer. Ich glaube, ich kenne keinen Mann, der ihr nicht zugetan ist. Früher kam sie fast jeden Tag ins Heilige Haus, um in den Büchern zu lesen, die dort aufbewahrt werden. Bei diesen Gelegenheiten haben wir uns manchmal stundenlang unterhalten. Ich habe gesehen, wie sie sich in Männer verliebt hat, die ihrer gar nicht würdig waren, aber dass auch ich ein Mann bin, hat sie gar nicht gemerkt.«

    Rojer bemühte sich, seine teilnahmslose Miene beizubehalten, aber in Jonas Bekenntnis lag eine Aufrichtigkeit, die sein Herz rührte. »Wie bist du damit umgegangen? Wie hört man auf, jemanden zu lieben?«
    »Der Schöpfer hat Liebe nicht an Bedingungen geknüpft. Es ist die Liebe, die uns menschlich macht, uns von den Horclingen unterscheidet. Liebe an sich ist ein Wert, ein hohes Gut, auch wenn sie nicht erwidert wird.«
    »Sag, liebst du sie immer noch?«, fragte Rojer leise.
    Jona nickte. »Aber meine Vika und unsere Kinder liebe ich noch mehr. Liebe ist genauso grenzenlos wie der Geist eines Menschen.« Er legte Rojer eine Hand auf die Schulter. »Verschwende nicht Jahre damit, zu bedauern, was dir mit ihr verwehrt ist. Stattdessen solltest du dich über das freuen, was dich mit ihr verbindet. Und wenn du mit jemandem sprechen möchtest, der deinen Konflikt verstehen kann, komm zu mir. Ich verspreche dir auch, den Kanon in seinem Futteral zu lassen.«
    Er

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