Das Flüstern der Nacht
einer grünlichen Masse beschmiert war.
»Diese Nadeln trage ich bei mir, um Tiere, die verrückt geworden sind, einzuschläfern. Ich bewahre sie in einer Kleidertasche
auf, denn es wäre zu gefährlich, sie in das Kräutertuch einzuwickeln, und ich kann sie auch nicht in meine Schürze stecken, weil ich die gelegentlich abnehme. Ein Stich mit dieser Nadel tötet einen Menschen auf der Stelle, und selbst wenn die Haut nur eingeritzt würde, könnte das seinen langsamen Tod herbeiführen.«
»In Zukunft werde ich in deiner Gegenwart meine Zunge hüten«, versprach Rojer, aber Leesha lachte nicht.
»Als ich dem Anführer der Banditen das Blendpulver in die Augen schleuderte, hatte ich eine dieser Nadeln in meiner freien Hand«, fuhr Leesha fort. »Wenn ich den Stummen damit gestochen hätte, als er nach mir griff, wäre er tot gewesen, ehe der Anführer wieder etwas sehen konnte, und ich hätte ihn auch stechen können.«
»Und um den dritten hätte ich mich dann gekümmert«, ergänzte Rojer. Er hob eine leere Hand, und plötzlich lag ein Messer darin. Ein schneller Wurf, und es wirbelte durch die Luft. »Warum hast du es nicht getan?«
»Weil es etwas anderes ist, ob man einen Horcling tötet oder einen Menschen. Selbst wenn es sich um einen Verbrecher handelt. Ich wollte die Nadel benutzen. Manchmal, im Rückblick, wünsche ich mir, ich hätte es getan. Aber als dann der Augenblick gekommen war, um die Nadel einzusetzen, brachte ich es einfach nicht über mich.«
Eine Weile betrachtete Rojer das Messer in seiner Hand, dann schob er es mit einem Seufzer in die Schlaufe an seinem Unterarm zurück und knöpfte die Manschette seines Hemdes wieder zu.
»Glaub nicht, ich wäre zu so etwas fähig«, gab er traurig zu. »Ich fing an, Messertricks zu lernen, da war ich erst fünf, aber es ist alles nur Schau. Ich habe noch nie jemandem auch nur einen Kratzer zugefügt.«
»Sobald mir klarwurde, dass ich mich nie dazu durchringen könnte, hörte ich auf mich zu wehren, als sie mich auf den Boden warfen. Bei der Nacht, ich spuckte sogar auf meine Hand, um
meine Scham anzufeuchten, als der Erste an seinem Hosenlatz fummelte. Und selbst als sie mich dann heulend im Dreck liegen ließen, wünschte ich mir nicht, ich hätte sie getötet.«
»Stattdessen wünschtest du dir, sie hätten dich umgebracht«, murmelte Rojer.
Leesha nickte.
»Genauso habe ich mich gefühlt, als Meister Jaycob ermordet wurde«, flüsterte Rojer. »Ich wollte keine Vergeltung, ich wollte nur, dass diese Verzweiflung aufhört.«
»Ich erinnere mich. Du hast mich gebeten, dich sterben zu lassen.«
Rojer nickte. »Und aus diesem Grund ging ich mit dem Tätowierten Mann zu dem Lagerplatz der Banditen.«
»Du hast es für mich getan?«
Rojer schüttelte den Kopf. »Diese Männer hätten getötet werden müssen wie ein verrücktes Pferd, Leesha. Wir waren nicht die Ersten, die sie beraubt hatten, und wir wären auch nicht die Letzten gewesen, vor allen Dingen, nachdem sie meinen tragbaren Bannzirkel an sich gebracht hatten. Trotzdem haben wir sie nicht umgebracht. Der Tätowierte Mann marschierte hin und nahm dein Pferd, ich schnappte mir den Zirkel, und dann liefen wir weg. Als wir sie zurückließen, waren alle drei noch am Leben.«
»Dämonenfutter«, meinte Leesha.
Rojer zuckte die Achseln. »Der Tätowierte Mann hatte die meisten Horclinge in der Umgebung getötet. Wir haben keinen einzigen gesehen, als wir uns an ihr Lager heranschlichen, und bis zur Morgendämmerung waren es nur noch wenige Stunden. Wir haben ihnen eine bessere Überlebenschance gelassen als sie uns gewährten.«
Leesha seufzte, aber sie entgegnete nichts. Rojer sah sie an. »Warum holt man eine Kräutersammlerin, wenn ein Tier eingeschläfert werden muss? Ein Schlag mit einer Axt oder einem schweren Hammer würden doch genügen, um ein Tier zu erledigen.«
Leesha wiegte nachdenklich den Kopf. »Manche Leute bringen es nicht fertig, ein treues Haustier zu töten, und manchmal hoffen sie auch, ich könnte es noch kurieren. Aber es kommt vor, dass selbst ich keinen Rat mehr weiß, und wenn ein Tier leidet, ist ein Stich mit der Nadel eine Gnade. Es geht schnell und schmerzlos.«
»Ich muss immer wieder an den Tätowierten Mann denken«, sinnierte Rojer. »Vielleicht hat er Recht, und es gibt Gelegenheiten, da muss man zur Waffe greifen, auch wenn man sie gegen andere Menschen richtet.«
»Denkst du auch, wir sollten gegen die Krasianer kämpfen?« Rojer stieß einen
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