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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Moment lang huschte sein Blick zu Leesha, »beherrschen ließ. Der Schöpfer hat mich mit kräftigen Armen gesegnet, um Dämonen zu töten, und nicht, um mir einfach zu nehmen, was ich begehre.«
    Der Tätowierte Mann streckte die Hand nach ihm aus, und als Gared sie ergriff, zog er ihn grob auf die Füße. Gared wog über dreihundert Pfund, doch genauso gut hätte er ein Kind sein können.
    »Vielleicht ist dir ja wirklich ein Licht aufgegangen, Gared«, erwiderte er, »aber das bedeutet nicht, dass es mein Verdienst ist. Als wir uns das erste Mal begegnet sind, hattest du einen Tag zuvor deinen Vater verloren. Das sind Ereignisse, durch die jeder Mensch an Reife gewinnt, sie bringen einen zum Nachdenken. Man begreift, was im Leben wirklich wichtig ist.«
    Er streckte ihm wieder die Waffe entgegen, und Gared nahm sie in Empfang. Es war eine ungemein wuchtige Klinge, doch in Gareds riesigen Pranken wirkte sie kaum größer als ein Dolch. Andächtig betrachtete er die feinen Siegel.
    Der Tätowierte Mann wandte sich an Leesha. »Das da«, er deutete auf eine Reihe von Bücherregalen am hinteren Ende des Raumes, »sind die Grimoires.« Sofort setzte sich Leesha dorthin in Bewegung, aber er hielt sie am Arm fest. »Wenn du jetzt anfängst, darin zu stöbern, haben wir dich für die nächsten zehn Stunden verloren.«

    Leesha runzelte irritiert die Stirn; sie wollte nichts lieber tun, als ihren Arm aus seinem Griff zu befreien und sich in die dicken, ledergebundenen Wälzer zu vertiefen, aber sie unterdrückte den Wunsch. Dies war nicht ihr Haus. Sie nickte und fügte sich.
    »Wenn wir aufbrechen, nehmen wir die Bücher mit«, versprach der Tätowierte Mann. »Ich habe noch mehr Kopien. Diese Exemplare darfst du behalten.«
    Rojer warf dem Tätowierten Mann einen kecken Blick zu. »Bekommen alle ein Geschenk außer mir?«
    Der Tätowierte Mann grinste. »Wir finden schon etwas für dich.« Gemächlich schlenderte er zu dem versperrten Gang. Der Schlussstein, der von dem Deckengewölbe herabgestürzt war, sah aus, als wöge er mehrere Hundert Pfund, doch er hob ihn mühelos an und versetzte ihn, damit sie an eine solide, verriegelte Tür gelangten, die im Dunkeln verborgen lag.
    Aus seinen Gewändern angelte er einen zweiten Schlüssel, drehte ihn in dem Schloss, zog die Tür auf und trat hindurch. Er hielt eine lange, schmale Wachskerze an einen großen Standleuchter direkt neben der Tür, dessen flackernder Lichtschein sich in riesigen Spiegeln brach, die sorgfältig im ganzen Zimmer verteilt waren. Eine gleißende Helle füllte den Raum, und die Besucher stießen erstaunte Rufe aus.
    Dickflorige Teppiche, in die mittlerweile verblasste Muster aus längst vergangenen Zeiten eingewebt waren, bedeckten den Steinboden. An den Wänden hingen Dutzende von Gemälden, die vergessene Menschen und Ereignisse darstellten, Meisterwerke in vergoldeten Rahmen; und überall sah man in Metall gerahmte Spiegel und poliertes Mobiliar. Zum Aufbewahren von Schätzen dienten Regenfässer, die zum Bersten angefüllt waren mit antiken Goldmünzen, Edelsteinen und Schmuck. Maschinen, deren Zweck sich dem Betrachter entzog, lagerten teilweise auseinandergenommen neben prachtvollen Marmorstatuen und Büsten, Musikinstrumenten
und zahllosen anderen Kostbarkeiten. Und wohin das Auge blickte, standen Bücherregale.
    »Wie ist das möglich?«, hauchte Leesha.
    »Horclinge kümmern sich wenig um Reichtümer«, erklärte der Tätowierte Mann. »Kuriere haben die leicht zugänglichen Ruinen abgegrast, aber es gibt unzählige Orte, an denen sie noch niemals waren, ganze Städte, die den Dämonen überlassen und vom Land verschluckt wurden. Ich habe versucht zu bergen, was die Elemente überlebt hat.«
    »Du bist reicher als alle Herzöge zusammen«, schloss Rojer ehrfürchtig.
    Der Tätowierte Mann quittierte die Bemerkung mit einem gleichgültigen Schulterzucken. »Für das meiste habe ich keine Verwendung. Nehmt euch, was immer ihr wollt.«
    Rojer stieß einen Jubelruf aus und rannte durch den Raum. Er schob die Hände in die Berge aus Münzen und Juwelen, griff nach Statuetten und antiken Waffen. Ein Messinghorn erregte seine Aufmerksamkeit, er spielte eine Melodie, dann entfuhr ihm ein lauter Schrei, er bückte sich hinter eine zerborstene Statue und tauchte mit einer Fiedel in den Händen wieder auf. Die Saiten fehlten, sie waren einfach verrottet, aber das Holz war unversehrt und schimmerte wie frisch poliert. Übermütig lachend hielt er seine

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