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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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sich erst darauf verlassen, dass ich all ihre Probleme
löse, werden sie nie lernen, auf eigenen Füßen zu stehen und selbstständig zu denken.«
    Abrupt wandte er sich an Rojer. »Ist alles bereit?«
    Rojer nickte. »Die Pferde sind bepackt und gesattelt. Von mir aus kann’s losgehen.«

    Seit der Schneeschmelze im Frühling war über ein Monat vergangen, und die Bäume, die die Kurierstraße nach Angiers säumten, prangten in einem frischen Grün. Während des Ritts hielt sich Rojer an Leesha fest. Er hatte nie wirklich reiten gelernt und traute grundsätzlich keinem Pferd, vor allem dann nicht, wenn es nicht vor einen Wagen gespannt war. Zum Glück war er leicht genug, um hinter Leesha zu sitzen, ohne das Tier zu sehr zu belasten. Und Leesha, die alles, was sie in Angriff nahm, binnen kürzester Zeit meisterte, hatte sich im Nu zu einer geschickten Reiterin entwickelt und hatte ihr Pferd gut unter Kontrolle.
    Der Umstand, dass sie nach Angiers zurückkehrten, trug nicht dazu bei, Rojers rumorenden Magen zu beruhigen. Als er zusammen mit Leesha vor einem Jahr die Stadt verlassen hatte, war das nicht nur geschehen, um ihr zu helfen, nach Hause zu kommen, sondern auch, um sein eigenes Leben zu retten. Er war nicht erpicht darauf, Angiers wieder zu betreten, obwohl er sich in Begleitung zuverlässiger Freunde befand; und es behagte ihm ganz und gar nicht, die Jongleurgilde wissen zu lassen, dass er noch am Leben war.
    »Hat er Übergewicht?«, fragte Leesha in seine trüben Gedanken hinein.
    »Hm?«, brummte er.
    »Herzog Rhinebeck. Ist er zu dick? Trinkt er?«
    »Ja, er ist fett, und er säuft wie ein Loch«, erwiderte Rojer. »Er sieht aus, als hätte er ein ganzes Bierfass verschluckt, was der Wahrheit sogar ziemlich nahe kommt.«

    Den ganzen Morgen lang hatte Leesha ihn mit Fragen über den Herzog belästigt. Ihr allzeit reger Verstand forschte bereits nach einer Diagnose und möglichen Heilung, obwohl sie den Mann noch nicht einmal persönlich kennengelernt hatte. Rojer wusste, wie wichtig ihre Arbeit war, aber er wohnte seit fast zehn Jahren nicht mehr im Palast. Viele ihrer Fragen stellten sein Gedächtnis auf eine harte Probe, und er wusste nicht, ob seine Antworten noch akkurat genug waren, um ihr weiterzuhelfen.
    »Hat er manchmal Probleme im Bett? Fällt es ihm schwer, zu vollziehen?«
    »Woher zum Horc soll ich das wissen?«, fauchte Rojer. »Er war nicht der Typ, der mit kleinen Jungen herummacht.«
    Leesha drehte ihm ihr Gesicht zu und strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. Sofort schämte sich Rojer für seine schroffe Antwort.
    »Was ist los mit dir, Rojer?«, fragte sie dann. »Schon den ganzen Morgen über wirkst du so zerstreut.«
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, brummte er.
    »Lüg mich nicht an«, wies Leesha ihn scharf zurecht. »Darin warst du noch nie besonders gut.«
    »Ich glaube, seit wir auf dieser Straße unterwegs sind, kommen all die Erinnerungen an letztes Jahr wieder hoch«, gestand er.
    »Ja, hier sind wirklich schlimme Dinge passiert«, pflichtete Leesha ihm bei, während sie unablässig die Straßenränder beobachtete. »Ich rechne auch ständig damit, dass Banditen von den Bäumen herabspringen.«
    »Aber nicht bei dieser Eskorte«, meinte Rojer und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Wonda, die vor ihnen auf einem schlanken Renner ritt; ihr Langbogen steckte in einer Halterung am Sattel und war mit einem Griff zu erreichen. Kerzengrade und wachsam saß sie auf dem Pferd, und den Augen in ihrem vernarbten Gesicht entging nichts.

    Hinter ihnen ritt Gared auf einem schweren, massigen Ross, das jedoch unter seinem hünenhaften Reiter wirkte als sei es nur von durchschnittlicher Größe. Über beiden Schultern ragten die Stiele seiner wuchtigen Äxte hervor, die er beim ersten Anzeichen von Gefahr zücken konnte. In Begleitung dieser gut ausgebildeten Dämonenjäger brauchten sie sich vor keinem Angriff durch Normalsterbliche zu fürchten.
    Doch das stärkste Gefühl von Sicherheit verlieh ihnen selbst mitten am Tag der Tätowierte Mann. Auf seinem gigantischen schwarzen Hengst ritt er an der Spitze der kleinen Kolonne; müßiges Geplauder lehnte er ab, ließ sich kaum in ein Gespräch verwickeln, doch allein seine schweigende Gegenwart erinnerte sie ständig daran, dass ihnen nichts zustoßen konnte, solange er sich in ihrer Nähe befand.
    »Hand aufs Herz, Rojer, bereitet dir die Straße Kummer, oder das, was an ihrem Ende liegt?«, drang Leesha in ihn.
    Rojer sah sie an und

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