Das Flüstern der Nacht
Beute in die Höhe.
Gared spähte in jede Ecke des Raums, wirkte jedoch wenig beeindruckt. »Das andere Zimmer gefiel mir besser«, sagte er zu Wonda, die zustimmend nickte.
Die Tore von Fort Angiers waren geschlossen.
»Während des Tages?«, wunderte sich Rojer. »Normalerweise sind sie für die Holzarbeiter und ihre Fuhrwerke weit geöffnet.«
Er hockte nun auf dem Kutschbock des Wagens, der in dem Schlupfwinkel des Tätowierten Mannes gestanden hatte und der nun von Leeshas Pferd gezogen wurde. Leesha saß neben ihm, vor mehreren Taschen voller Bücher und anderen Sachen, die sie dazu benutzten, den falschen Boden des Wagens zu verbergen. Das Versteck war angefüllt mit den kostbaren Waffen und einer großen Menge Gold.
»Vielleicht nimmt Rhinebeck die Bedrohung durch die Krasianer doch ernster, als wir dachten«, mutmaßte Leesha. Und tatsächlich, als sie sich der Stadt näherten, sahen sie, wie Wachen mit geladenen und gespannten Armbrüsten auf der Mauerkrone auf und ab patrouillierten. Zimmerleute waren dabei, in die niedrigeren Etagen der Mauer Schießscharten zu sägen. Wo früher zwei Wachposten genügt hatten, um das Tor zu bewachen, standen nun mehrere Wächter in Habachtstellung, die Speere kampfbereit.
»Maricks Geschichte hat offenbar für viel Wirbel gesorgt«, stimmte der Tätowierte Mann zu, »aber ich wette, dass diese Wachen eher dazu da sind, Tausende von Flüchtlingen davon abzuhalten, in die Stadt hineinzuströmen, als einen Angriff der Krasianer abzuwehren.«
»Der Herzog kann doch nicht all diesen Leuten seine Hilfe verweigern«, meinte Leesha.
»Warum nicht?«, erwiderte der Tätowierte Mann. »In Miln lässt Herzog Euchor die Bettler jede Nacht draußen auf ungeschützten Straßen schlafen.«
»Ay, nennt euer Anliegen!«, rief ein Wächter ihnen zu, als sie den Wagen vor dem Tor ausrollen ließen. Der Tätowierte Mann zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und fiel ans Ende der Gruppe zurück.
»Wir kommen aus dem Tal des Erlösers«, antwortete Rojer. »Ich bin Rojer Achtfinger, verfüge über eine Lizenz der Jongleurgilde, und das sind meine Gefährten.«
»Achtfinger?«, wiederholte einer der Wächter.»Der Fiedler?«
»Ganz recht«, bestätigte Rojer und hob die mit neuen Saiten bespannte Fiedel, die der Tätowierte Mann ihm geschenkt hatte.
»Ich war einmal da, als du gespielt hast«, brummte der Wächter. »Und wer sind deine Begleiter?«
»Das ist Leesha, Kräutersammlerin im Tal des Erlösers, früher tätig im Hospital von Meisterin Jizell in Angiers«, gab Rojer Auskunft und zeigte auf Leesha. »Die anderen sind Holzfäller, die mitgekommen sind, um uns auf der Straße Schutz zu gewähren; Gared, Wonda und … äh … Flinn.«
Wonda schnappte nach Luft. Flinn Holzfäller war der Name ihres Vaters gewesen; vor noch nicht mal einem Jahr war er in der Schlacht im Tal der Holzfäller ums Leben gekommen. Sofort verwünschte Rojer seine spontane Eingebung.
»Warum ist er von Kopf bis Fuß verhüllt?«, fragte der Wachmann und nickte in Richtung des Tätowierten Mannes.
Rojer beugte sich dicht an ihn heran und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Durch Dämonen hat er schwere Narben davongetragen. Er mag es nicht, wenn die Leute sein entstelltes Gesicht sehen.«
»Ist es wahr, was man so sagt?«, wollte der Wächter wissen. »Töten sie im Tal wirklich Horclinge? Es heißt, der Erlöser sei dort erschienen und hätte die alten Kampfsiegel mitgebracht.«
Rojer nickte. »Gared hier hat selbst Dutzende von Dämonen zur Strecke gebracht.«
»Was würde ich nicht drum geben, meinen Speer mit Siegeln zu versehen, die Dämonen töten«, bemerkte einer der Männer.
»Wir sind hier, um Handel zu treiben«, erklärte Rojer. »Ich denke, dein Wunsch könnte schon bald in Erfüllung gehen.«
»Was transportiert ihr in dem Karren?«, fragte der Wächter. »Waffen?« Während er sprach, rückten ein paar seiner Kameraden an, um die Fracht zu inspizieren.
»Nein, keine Waffen«, log Rojer. Seine Kehle schnürte sich zusammen bei der Vorstellung, die Männer könnten das Geheimfach entdecken.
»Sieht aus wie Bücher mit Siegeln«, meldete ein Wächter, nachdem er einen der Säcke geöffnet und kurz darin gestöbert hatte.
»Sie gehören mir«, warf Leesha ein. »Ich bin Bannzeichnerin.«
»Aber er sagte doch, du seist Kräutersammlerin«, entgegnete der Mann.
»Ich bin beides.«
Der Wächter sah sie an, warf dann einen Blick auf Wonda und schüttelte den Kopf.
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