Das Flüstern der Nacht
Nase. »So begreife doch, Mädchen. Dieses Gespräch hier ist die Audienz. Was im Thronsaal vor sich geht, ist bloß eine Farce, leeres Gerede. Was immer meine Söhne denken mögen, sie regieren diese Stadt genauso wenig wie euer Smitt über das Tal herrscht.«
Leesha verschluckte sich an der Pastete und verschüttete beinahe ihren Tee. Schockiert starrte sie Araine an.
»Obwohl es ein Fehler war, ohne Smitt hierherzukommen.« Araine schnalzte mit der Zunge. »Bruna hasste Politik, aber ein paar Grundlagen hätte sie dir ruhig beibringen können. Sie selbst kannte sie ja gut genug. Meine Jungen geraten nach ihrem Vater und dulden keine Frauen am Hof, es sei denn, sie stellen Essen auf den Tisch oder knien darunter. Sie sind einfach davon ausgegangen, dass euer Flinn Holzfäller - sofern das überhaupt sein richtiger Name ist - den Reigen anführt. Und sie werden selbst diesem Affen Gared und Arricks Bengel mehr Respekt entgegenbringen als dir.«
»Der Tätowierte Mann spricht nicht für das Tal«, beharrte Leesha. »Und die anderen ebenso wenig.«
»Hältst du mich für dumm, Mädchen?«, fragte Araine. »Das habe ich auf den ersten Blick gemerkt. Doch es macht keinen
Unterschied. Sämtliche Entscheidungen sind bereits gefallen.«
»Wie bitte?«, stotterte Leesha verwirrt.
»Nachdem ich letzte Nacht Jansons Bericht gelesen habe, gab ich ihm meine Anweisungen, und in diesem Augenblick sorgt er dafür, dass sie in die Tat umgesetzt werden. Sofern nicht einer dieser eitlen Pfauen einen ernsthaften Streit anfängt, während sie im Thronsaal ihr Gefieder spreizen und sich ungeheuer wichtigtun, kommt bei der ›Audienz‹ Folgendes heraus:
Ihr werdet ins Tal zurückkehren, und dort erwartet ihr eine Gruppe meiner besten Bannzeichner, die eure Kampfsiegel studieren sollen. Noch vor dem Winter muss jeder Bannzeichner in Angiers damit anfangen, Waffen mit Siegeln zu versehen, bis auch der letzte Jäger, der einen Bogen handhaben kann, einen Köcher voller Pfeile mit Siegeln besitzt, und Speere mit Siegeln werden gegen wenig Geld in den Buden längs der Straßen verkauft.
Thamos und die Holzsoldaten werden die Bannzeichner begleiten«, fuhr Araine fort. »Erstens, um sie zu beschützen, und zum anderen sollen sie von den Holzfällern bei euch im Tal lernen, wie man Dämonen zur Strecke bringt.«
Leesha nickte. »Selbstverständlich, Euer Gnaden.« Araine quittierte diese Bemerkung mit einem nachsichtigen Schmunzeln, und Leesha erkannte, dass die Herzoginmutter diese Entschlüsse als endgültige Befehle betrachtete und nicht als Vorschläge, die zur Diskussion standen.
»Die Fürsorger des Schöpfers sind wegen deines tätowierten Freundes in heller Aufregung«, wechselte Araine das Thema. »Eine Hälfte von ihnen glaubt, er sei der Erlöser höchstpersönlich, und die andere Hälfte hält ihn für gefährlicher als die Mutter aller Dämonen. Keine Partei setzt großes Vertrauen in euren jungen Fürsorger Jona, obwohl der geneigt zu sein scheint, die Annahme von dem zurückgekehrten Erlöser zu unterstützen. Man will ihn befragen. Ich habe mit meinen Beratern vom Kuratorium der Fürsorger
korrespondiert und zugestimmt, dass ein Ersatz, Fürsorger Hayes, entsandt wird, um die Gläubigen im Tal zu betreuen, während Jona hierherbeordert wird, um vor dem Kuratorium auszusagen. Hayes ist ein guter Mann, kein Eiferer und kein Dummkopf. Er wird sich ein Urteil darüber bilden, was die Talbewohner von dem Tätowierten Mann denken, und das Kuratorium verschafft sich ein Bild von Jonas Einstellung.«
Leesha räusperte sich. »Ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden, aber das Tal ist keine Großstadt mit Dutzenden von Fürsorgern. Die Menschen verlassen sich darauf, dass Jona ihnen Führung gibt, weil er sich dieses Vertrauen im Laufe vieler Jahre verdient hat. Sie werden nicht irgendeinem beliebigen Mann in einer braunen Robe folgen, und der Gedanke, dass Jona dem Tal entrissen wird, um sich einem Verhör zu stellen, dürfte ihnen ganz und gar nicht gefallen.«
»Wenn Jona ein treuer Diener des Schöpfers ist, wird er bereitwillig hier erscheinen und sämtliche Zweifel ausräumen«, entgegnete Araine. »Und wenn nicht … nun, dann bin ich genauso gespannt wie das Kuratorium, zu erfahren, wem seine Loyalität gilt.«
»Was geschieht, wenn die Vernehmung zu seinen Ungunsten ausfällt?«, erkundigte sich Leesha.
»Es ist schon eine Weile her, dass die Fürsorger einen Ketzer verbrannt haben, aber ich denke, dass sie immer noch
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