Das Flüstern der Nacht
sollten. Doch während die meisten Fürsorger Gewänder aus grobem Stoff bevorzugten, war die Robe des Hirten aus feiner Wolle gewebt und wurde mit einem Gürtel aus gelber Seide zusammengehalten.
Prinz Thamos zog es vor zu stehen und hatte am Fuß des Podests Posten bezogen; er trug einen Brustpanzer aus lackiertem, mit Siegeln versehenem Holz und passende Beinschienen. Seinen Speer hielt er angriffsbereit, genau wie die Holzsoldaten, die die Tür bewachten, und das, obwohl Rojer und die anderen durchsucht worden waren und ihre Waffen hatten abgeben müssen, ehe man sie in den Thronsaal ließ. Und dennoch fühlte sich Rojer neben Gared und dem Tätowierten Mann so sicher als stünde er bei strahlendem Sonnenschein im Tal des Erlösers.
»Seine Gnaden, Herzog Rhinebeck der Dritte«, verkündete Janson. »Hüter der Waldfestung, Träger der Hölzernen Krone und Gebieter über Angiers.« Rojer ließ sich auf ein Knie fallen und Gared tat es ihm nach. Der Tätowierte Mann hingegen verbeugte sich nur.
»Beuge dein Knie vor dem Herzog!«, schnauzte Thamos und richtete die Spitze seines Speers auf den Tätowierten Mann.
Der Tätowierte Mann schüttelte den Kopf. »Ich will Euch keineswegs beleidigen, Euer Hoheit, aber ich bin kein Angieraner.«
»Was soll der Blödsinn?«, wunderte sich Prinz Mickael. »Du bist Flinn Holzfäller aus dem Tal der Holzfäller, wurdest in Angiers geboren und großgezogen. Soll das heißen, dass das Tal sich nicht länger als Teil des Herzogtums betrachtet?« Thamos festigte den Griff um seinen Speer und zielte mit der Waffe auf die Gruppe. Rojer schluckte trocken und hoffte, der Tätowierte Mann würde sich nicht zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.
Der Tätowierte Mann schien nichts von der Bedrohung zu merken. Erneut schüttelte er den Kopf. »Ganz und gar nicht, Euer Hoheit. Aber ich heiße nicht Flinn Holzfäller. Dieser Name wurde lediglich aus taktischen Gründen am Tor genannt. Für diese Täuschung bitte ich um Vergebung.« Er verbeugte sich noch einmal.
Janson, der sich an ein kleines Schreibpult neben dem Podest begeben hatte, fing hektisch an zu kritzeln.
»Du sprichst mit einem Milneser Akzent«, bemerkte der Hirte Pether. »Ist vielleicht Euchor dein Gebieter?«
»Ich habe eine Zeit lang in Fort Miln gelebt, aber ich bin kein Milneser«, stellte der Tätowierte Mann richtig.
»Dann verrate uns deinen Namen und deine Herkunft«, forderte Thamos.
»Mein Name geht niemanden etwas an, und ich bin nirgendwo zu Hause.«
»Wie kannst du es wagen?!«, fauchte Thamos und rückte mit dem Speer auf ihn zu. Der Tätowierte Mann streifte ihn nur mit einem zerstreuten Blick, wie man einen kleinen Jungen ansehen würde, der seine Fäuste hebt. Rojer stockte der Atem.
»Das reicht!«, bellte Rhinebeck. »Thamos, zurück!« Prinz Thamos verzerrte vor Wut das Gesicht, aber er gehorchte, nahm seinen
Platz am Fuß des Podests wieder ein und warf dem Tätowierten Mann mörderische Blicke zu.
»Behalte deine Geheimnisse vorläufig für dich«, gestattete Rhinebeck und hob eine Hand, um jede weitere Frage im Keim zu ersticken. Prinz Mickael schielte seinen älteren Bruder grimmig an, hielt jedoch den Mund.
»An dich erinnere ich mich«, wandte sich Rhinebeck an Rojer, offenbar in dem Versuch, die angespannte Atmosphäre ein wenig zu lockern. »Rojer Schenk, das Balg von Arrick Honigstimme, der glaubte, mein Bordell sei eine Kinderkrippe.« Er gluckste vergnügt in sich hinein. »Man nannte deinen Meister Honigstimme, weil die Frauen zwischen den Schenkeln honigsüß wurden, wenn sie seine Stimme hörten. Ist der Lehrling jetzt zum Meister aufgestiegen?«
»Mit meiner Musik verzaubere ich nur die Horclinge, Euer Gnaden«, erwiderte Rojer mit einer Verbeugung. Er legte ein einnehmendes Lächeln in seine Züge und verbarg seinen Groll hinter der glatten Maske eines Jongleurs.
Rhinebeck lachte brüllend und schlug sich mit der Hand aufs Knie. »Als ob ein Horcling sich durch Musik blenden ließe wie irgendein holzköpfiges Flittchen! Du hast denselben köstlichen Humor wie Arrick, das muss man dir lassen!«
Lord Janson räusperte sich. »Was?«, fragte Rhinebeck und sah seinen Sekretär an.
»Die Kuriere, die das Tal passieren, berichten in der Tat, dass der junge Rojer Schenk Dämonen mit seiner Musik verhexen kann, Euer Gnaden«, erklärte er.
Der Herzog bekam große Augen. »Ist das wahr?« Janson nickte.
Rhinebeck hustete, um seine Überraschung zu verbergen, dann widmete
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