Das Flüstern der Nacht
zu strafen, Fischer«, erklärte Harl, »und ich hab meine.«
Garric nickte. »Sicher.« Er sog an seiner Pfeife. »Dieser weichherzige Fürsorger hätte sie getraut, und dann wären sie auf und davon nach Torfhügel, bevor du sie eingeholt hättest.«
Renna schnappte nach Luft, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Erschrocken legte sie die Hände auf den Mund und hielt eine lange Zeit den Atem an, bis sie sicher war, dass man sie nicht gehört hatte.
»Harral war schon immer zu willensschwach«, fand Harl. »Ein Fürsorger muss das Böse bestrafen, anstatt der Lasterhaftigkeit auch noch Vorschub zu leisten.«
Garric grunzte zustimmend. »Und dem Mädchen geht’s so weit gut?« Es sollte beiläufig klingen, aber Renna hörte den gespannten Ton heraus.
Harl nickte mit dem Kopf. »Hat regelmäßig ihre Monatsblutung.«
Offensichtlich erleichtert blies Garric den Atem aus, und in diesem Augenblick wusste Renna, warum er seinen Besuch so lange
hinausgeschoben hatte. Unwillkürlich fasste sie an ihren Bauch, und sie wünschte sich, ihr Leib wäre geschwollen; aber Cobies Samen hatte sie nur ein einziges Mal empfangen, und Harl passte immer auf, dass er sich nicht in ihr ergoss.
»Nimm’s mir nicht übel«, sagte Garric noch einmal, »aber mein arbeitsscheuer Sohn hat zum ersten Mal in seinem Leben eine Perspektive. Nomi und ich wollen ihm eine anständige Braut aussuchen, nicht irgendeine Schlampe.«
»Dein Sohn wird überhaupt keine Perspektive mehr haben, wenn er noch ein einziges Mal Hand an meine Tochter legt«, entgegnete Harl.
Garric zog ein säuerliches Gesicht, aber er nickte. »Ich würd genauso denken, wenn es um eines meiner Mädels ginge.« Er klopfte seine Pfeife aus. »Schätze, wir verstehen einander.«
»Scheint mir auch so«, bekräftigte Harl. »Mädchen! Wo bleibt das Kraut?«
Renna fuhr zusammen; den Beutel für Garric hatte sie total vergessen. Sie flitzte zum Schmokkraut-Fass und füllte einen Schafslederbeutel. »Komm ja schon!«
Harl funkelte sie grimmig an, als sie zurückkehrte, und schlug ihr auf den Hintern, weil sie so langsam war. Den Beutel reichte er Garric, und sie sahen zu, wie er auf seinen Karren kletterte und losrumpelte.
»Glaubst du, dass es stimmt, Missis Scratch?«, fragte Renna die Katzenmutter, als diese am Abend ihre Jungen säugte. Die Kätzchen krabbelten in einem großen Haufen übereinander und kämpften um die Zitzen, während Missis Scratch hinter der zerbrochenen Schubkarre in der Scheune lag, wo sie ihren Wurf versteckte. Renna nannte sie jetzt Missis Scratch, wie es einer richtigen Mutter zukam, obwohl der Kater, dem sie ihren Nachwuchs verdankte,
sich nach der Geburt verdrückt hatte, wie es nicht anders zu erwarten war.
»Denkst du, der Fürsorger würde uns tatsächlich trauen, wenn wir zu ihm gingen? Cobie sagte, er würde es tun, und Garric meint das auch. Oh, kannst du dir das vorstellen?« Renna hob eines der Kätzchen hoch und drückte dem leise quiekenden Wesen einen Kuss auf den Kopf.
»Renna Kurier«, sprach sie probeweise ihren neuen Namen aus und lächelte. Der Klang gefiel ihr. Er hatte so etwas Rechtschaffenes an sich.
»Ich könnte es bis Stadtplatz schaffen«, überlegte sie. »Der Weg ist lang, aber wenn ich renne, könnte ich in ungefähr vier Stunden da sein. Wenn ich spät am Tag aufbreche, könnte Dad niemals früh genug da sein, nicht mit seinen schmerzenden Gelenken.« Sie schaute hinüber zum Fuhrwerk.
»Und schon gar nicht ohne einen Wagen«, fügte sie listig hinzu.
»Aber was wird, wenn ich ankomme und Cobie nicht da ist? Oder wenn er mich gar nicht mehr will?« Während sie über diese entsetzliche Vorstellung nachsann, trudelte der vermisste Kater wieder ein, im Maul eine fette Maus. Er legte die Beute vor Missis Scratch ab, was Renna für ein Zeichen des Schöpfers hielt.
Sie wartete mehrere Tage lang, falls ihr Vater den Verdacht hatte, sie hätte sein Gespräch mit Garric belauscht. Im Geist ging sie den Plan immer und immer wieder durch, denn sie wusste, dass dies ihre letzte Gelegenheit zur Flucht war. Wenn er sie erwischte und sie wieder in den Abort einsperrte, würde sie noch so eine Nacht vermutlich nicht überleben; und falls doch, brächte sie nie wieder den Mut zu einer Flucht auf, davon war sie felsenfest überzeugt.
Jeden Tag kam ihr Vater nach zwölf zum Mittagsmahl ins Haus und nahm sich viel Zeit mit dem Essen, bis er wieder auf die Felder hinausging. Wenn sie dann losrannte, konnte sie zwei
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