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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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erwachsene Männer getötet hat!«, gab Rusco zu bedenken.
    »Blödsinn!«, widersprach Selia. »Ich bezweifle, dass sie auch nur einen einzigen dieser kräftigen Kerle hätte umbringen können, geschweige denn alle beide.«
    »Na schön!«, grollte Raddock. »Aber das hier nehme ich in Verwahrung.« Er hielt das Messer in die Höhe. »Und auch das blutige Kleid, bis der Rat sich trifft.« Selia funkelte ihn zornig an, und die Blicke zweier willensstarker Menschen begegneten sich. Sie wusste, dass Raddock Advokat mit diesen beiden Beweisstücken die Stimmung in der Stadt bis zum Wahnsinn aufpeitschen konnte, aber viel konnte sie nicht gegen ihn ausrichten.
    »Ich schicke noch heute Boten aus«, erklärte sie. »In drei Tagen tritt der Rat zusammen.«
    Jeph trug Renna nach draußen zu seinem Fuhrwerk und sie brachten sie nach Stadtplatz in Selias Haus, wo man sie in der Spinnstube einschloss. Garric vernagelte eigenhändig von außen die Fensterläden und prüfte sorgfältig das Holz, ehe er zufrieden grunzte und bereit war, zu gehen.

21
    Der Stadtrat
    333 NR - Sommer
     
     
    S elia spürte ihre schmerzenden Knochen, als sie am nächsten Tag die Füße aus dem Bett schwang. Seit ein paar Jahren bereiteten ihre Gelenke ihr Qualen. Am schlimmsten war es bei regnerischem oder kaltem Wetter, doch in der letzten Zeit spürte sie selbst an den wärmsten, trockensten Tagen ein Ziehen. Sie rechnete damit, dass es noch schlimmer werden würde, ehe sie starb.
    Aber Selia klagte nie, nicht einmal vor der Schmucken Coline. Die Schmerzen waren eine Bürde, die sie zu tragen hatte. Sie war die Sprecherin in Tibbets Bach, und das hieß, dass die Leute von ihr erwarteten, stark zu sein und sich für das, was Recht war, einzusetzen. Egal, wie stark ihre Gelenke schmerzten, niemand erlebte Selia jemals anders als in all den vergangenen Jahren - ein stützender Fels, an dem jeder Halt finden konnte.
    Diese zusätzliche Bürde machte ihr arg zu schaffen, als sie aufstand und sich für den Tag rüstete; sie zog eines ihrer schweren, hochgeschlossenen Kleider an. Sie war weder Renna noch ihren Schwestern häufig begegnet, aber sie hatte deren Mutter gekannt und wusste, wie Harl sie behandelt hatte, ehe die Horclinge sie holten. Böse Zungen behaupteten, sie sei freiwillig zu den Dämonen gegangen, nur um von ihm wegzukommen. Wenn er sich seinen Töchtern gegenüber genauso aufgeführt hatte, konnte Selia
sich sehr gut vorstellen, dass Renna gezwungen gewesen war, ihn aus reiner Selbstverteidigung zu töten.
    Nachdem sie sich fertig angekleidet hatte, kümmerte sie sich um Renna. Sie steckte sie in eines ihrer eigenen Gewänder und setzte sie aufrecht hin, damit sie etwas Hafergrütze essen konnte. Hinterher wischte sie dem Mädchen den Mund ab, verließ die Spinnstube und legte den Riegel wieder vor.
    Sie frühstückte, und dann ging sie nach draußen. Auf ihrem Gehweg stand Rik Fischer, in der Hand einen schmalen Fischspeer. Er war siebzehn und noch nicht verheiratet, obwohl Selia ihn mit Ferd Müllers Tochter Jan beim Spazierengehen beobachtet hatte. Wenn Ferd die Verbindung guthieß, würden die beiden sicher bald einander versprochen werden.
    »Du musst eine Besorgung für mich machen«, sprach Selia ihn an.
    »Tut mir leid, aber das geht nicht«, erwiderte Rik. »Raddock Advokat hat mir befohlen, genau an dieser Stelle zu bleiben und aufzupassen, dass das Mädchen nicht türmt, egal, was andere mir sagen.«
    »Ach, so ist das?«, entgegnete Selia. »Gehe ich recht in der Annahme, dass dein Bruder hinter dem Haus herumlungert, vor meinen schönen Fensterläden, die Garric zugenagelt hat?«
    »Ja«, bestätigte Rik.
    Selia ging ins Haus zurück und kam mit einem Besen und einem Rechen wieder heraus. »Ich dulde nicht, dass Müßiggänger um mein Haus herumstromern, Rik Fischer. Wenn du hierbleiben willst, fegst du meinen vorderen Gehweg blitzblank, und dein Bruder wird hinten das Laub und das tote Gras zusammenharken.«
    »Ich weiß nicht, ob ich …«, begann Rik.
    »Du überlässt es also lieber einer alten Frau, Arbeiten zu verrichten, für die du zu faul bist?«, warf Selia ihm vor. »Vielleicht sollte ich das Ferd Müller erzählen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«

    Sie hatte den Satz noch nicht beendet, da schnappte sich Rik schon den Besen und den Rechen. »Bist ein braver Junge«, lobte sie ihn. »Wenn du fertig bist, kannst du meine Siegel prüfen. Jeder, der zu mir will, soll auf der Veranda warten. Ich bleibe nicht

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