Das Flüstern der Nacht
lange fort.«
»Wird gemacht«, beteuerte Rik.
Sie nahm einen Topf mit Butterkeksen und ging damit zu den spielenden Kindern auf dem zentralen Platz des Ortes. Das flinkste schickte sie los, um Botschaften abzuliefern, und als Bezahlung bekam es einen Keks. Als sie zu ihrem Haus zurückkehrte, hatte Rik den Gehweg bereits sauber gefegt und nahm sich nun ihre Veranda vor. Stam Schneider, die erste Person, die sie zu sich bestellt hatte, hockte zusammengesunken auf den Verandastufen und hielt sich den brummenden Schädel.
»Bereust du jetzt, dass du gestern zu viel Bier getrunken hast?«, erkundigte sich Selia, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Stam bereute immer seinen Rausch vom Vortag, selbst dann noch, wenn er schon wieder dabei war, sich zu betrinken.
Stam gab nur ein gequältes Stöhnen von sich.
»Dann komm rein und trink eine Tasse Tee, um deine Kopfschmerzen zu vertreiben«, schlug Selia vor. »Ich will mit dir darüber reden, was du vorgestern Abend gesehen hast.«
Sie befragte Stam ausführlich, und danach die anderen Leute, die behaupteten, Renna auf ihrem Weg zum Laden gesehen zu haben. Doch es waren viel zu viele, um ihren Aussagen glauben zu können, es schien beinahe, als hätte die halbe Stadt sie die Straßen hinunterstürmen sehen, mit irrem Blick und dem Messer in der Hand. Raddock und Garric waren mit dem blutigen Kleid und der Klinge von einem Ende der Stadt zum anderen geritten, und alle wollten in dem Drama eine Rolle spielen.
»Cobie mag ja der Schwäche des Fleisches nachgegeben haben«, berichtete Fürsorger Harral und schilderte ihr die Szene nach
Fernan Torfstechers Beisetzung, »aber er meinte es ehrlich, als er sagte, er wolle Renna heiraten, das konnte ich ihm vom Gesicht ablesen. Das Gleiche gilt für das Mädchen. Es war Harl, der bei dieser Vorstellung mörderisch dreinblickte.«
»Mein Lucik hat sich gestern Abend mit zwei von den Fischern geprügelt«, erzählte Meada Torfstecher ihr später. »Sie sagten, Renna hätte die ganze Zeit geplant, ihren Dad zu ermorden, und versucht, Cobie zu überreden, dass er es für sie täte. Lucik hat einem eins auf die Nase gegeben, da haben sie ihm den Arm gebrochen.«
»Lucik hat einen Fischer geschlagen?«, vergewisserte sich Selia.
»Mein Junge hat fast vierzehn Jahre lange mit Renna Gerber unter einem Dach gelebt. Und wenn er sagt, sie ist keine Mörderin, dann genügt mir das.«
»Sprichst du jetzt für Torfhügel, seit Fernan tot ist?«, fragte Selia.
Meada nickte. »Das Dorf hat gestern gewählt.«
Die Schmucke Coline kam als Nächste an die Reihe. »Ich frage mich dauernd«, begann die Kräutersammlerin, »warum der arme Cobie zwei Messerstiche zwischen die Beine bekam. Sie muss es getan haben; kein Mann würde einem anderen so was antun. Ich denke, sie war bei Cobies Besuch vielleicht doch nicht so willig, wie die Leute sagen. Ich schätze, er hat sich ihr aufgezwungen, und sie zog dann los, um ihn aus Rache zu töten. Als ihr Vater versucht hat, sie daran zu hindern, muss sie ihn ebenfalls niedergestochen haben.«
Am Nachmittag traf Jeph mit Ilain und Beni ein. Er blieb dicht bei den Frauen und stellte sich zwischen Beni und Rik Fischer, als die beiden einander mit zornigen Blicken anfunkelten.
»Wie geht es Lucik?«, erkundigte sich Selia bei Beni, nachdem sie ins Haus getreten waren.
Beni seufzte. »Coline sagt, die Schiene kann in zwei Monaten abgenommen werden, aber jetzt haben wir Schwierigkeiten, Ruscos Bierbestellungen zu erfüllen. Ich mache mir auch Sorgen um meine Jungen, wenn diese Fehde noch lange andauert.«
Selia nickte verstehend. »Am besten, du behältst sie in deiner Nähe. Raddock hat die Fischer-Sippe bis zur Weißglut aufgehetzt, und sie wollen Blut sehen. Kann sein, dass sie in der Wahl ihrer Opfer nicht allzu genau sind. Inzwischen höre ich mich mal um, ob es in der Stadt müßige Hände gibt, die bei euch in der Brauerei mit anpacken könnten.«
»Danke, Sprecherin.« Beni atmete auf.
Selia musterte alle drei streng. »In Zeiten der Not ist jeder von uns gefordert.« Sie drehte sich um und führte sie in die Spinnstube. Renna saß auf einem Stuhl und starrte die Wand an.
»Hat sie etwas gegessen?«, fragte Ilain besorgt.
Selia nickte. »Sie schluckt herunter, was man ihr in den Mund schiebt, und sie benutzt den Abort, wenn man sie hinbringt. Gestern Abend hat sie sogar das Pedal an meinem Spinnrad angetrieben. Ihr fehlt bloß der Lebenswille.«
»Genauso hat sie sich verhalten, als
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