Das Flüstern der Nacht
Gelegenheit erhält, sich zu verteidigen. Dass es hier zwei Morde gegeben hat, ist schon schlimm genug. Ich lasse nicht zu, dass dein Pack einen dritten begeht, weil du nicht auf Gerechtigkeit warten kannst.«
Um Unterstützung heischend sah sich Garric nach Raddock um, doch der Sprecher von Fischweiher schwieg und ging zu Harral. Plötzlich stieß er den Fürsorger gegen die Wand und griff ihm in die Kutte.
»Sie erzählt euch nicht alles!«, brüllte Raddock. »Das Kleid des Mädchens liegt zum Einweichen im Wasser, weil es voller Blut ist!« Er hielt Harls Messer in die Höhe, damit jeder es sehen konnte. »Und sie hatte dieses blutige Messer bei sich!«
Die Fischer stießen ihre Speere in die Luft und brachen in ein wütendes Geheul aus, bereit, sofort ins Haus zu stürmen. »Zum
Horc mit deinem Gesetz«, fauchte Garric Selia an, »wenn es mir verbietet, meinen Sohn zu rächen.«
»Dieses Mädchen ermordest du nur über meine Leiche!« Selia stellte sich direkt vor die Tür, zusammen mit dem Rest des Stadtrats und Jephs Familie. »Wollt ihr selbst einen Mord auf euch laden?«, schrie sie der Fischer-Sippe zu. »Will jeder Einzelne von euch mitschuldig sein an einer Bluttat?«
»Bah, ihr könnt uns nicht alle hängen!«, spottete Raddock. »Wir nehmen das Mädchen mit, und damit hat es sich. Macht Platz, oder wir rennen euch über den Haufen!«
Rusco hob die Hände und rückte zur Seite. Selia warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Verräter!«
Doch Rusco lächelte nur. »Ich bin kein Verräter, Gnädigste. Nur ein Geschäftsmann auf Besuch, und es steht mir nicht zu, in einer solchen Auseinandersetzung Partei zu ergreifen.«
»Du gehörst genauso zu dieser Stadt wie alle anderen!«, schnauzte Selia ihn an. »Seit zwanzig Jahren lebst du im Dorf Stadtplatz, das zur Gemeinde Tibbets Bach gehört, und fast genauso lange hast du einen Sitz im Rat! Wenn es einen Ort gibt, an dem du dich mehr zu Hause fühlst, dann ist es vielleicht an der Zeit, dass du dorthin zurückgehst!«
Rusco behielt sein Lächeln bei. »Ich bitte um Entschuldigung, Gnädigste, aber ich muss mich allen gegenüber gerecht verhalten. Wenn ich mich gegen ein ganzes Dorf stelle, ist das schlecht für mein Geschäft.«
»Mindestens einmal im Jahr kommt die halbe Stadt zu mir und verlangt, dass ich dich wegen deiner dauernden Betrügereien verjage, so wie man dich aus Miln und Angiers und der Schöpfer weiß wo sonst noch vertrieben hat«, ätzte Selia. »Und immer wieder rede ich es den Leuten aus. Erinnere sie daran, welche Vorteile dein Geschäft mit sich bringt und wie die Dinge standen, bevor du dich hier niedergelassen hast. Aber wenn du dich jetzt vor deiner Verantwortung drückst, sorge ich dafür, dass kein
anständiger Mensch jemals wieder einen Fuß in deinen Laden setzt!«
»Das kannst du nicht tun!«, schrie der Vielfraß.
»Oh doch, ich kann, Rusco!«, bekräftigte Selia. »Stell mich ruhig auf die Probe, wenn du anderer Meinung bist!« Raddocks ohnehin schon finstere Miene verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse, als der Vielfraß klein beigab und sich wieder zu Selia vor die Tür stellte.
Rusco sah ihn an. »Keine Gewalt, Raddock. Ein, zwei Tage können wir warten. Jeder, der Hand an Renna Gerber legt, bevor der Stadtrat einen Beschluss gefasst hat, darf meinen Laden nie wieder betreten.«
Mit blitzenden Augen wandte sich Selia an Raddock. »Wie lange kann man wohl ohne Rusco auskommen, Advokat? Wie lange kann Fischweiher auf Jephs Getreide und Vieh verzichten? Oder auf den Reis aus Sumpfland? Auf das Bier, das in Torfhügel gebraut wird? Auf das Holz vom Weiler am Wald? Ich schätze, nicht so lange, wie wir es ohne eure verdammten Fische aushalten.«
»Also gut, berufe den Stadtrat ein!«, knurrte Raddock. »Aber bis zu ihrer Verurteilung wird Renna in Fischweiher eingesperrt.«
Selia lachte bellend. »Glaubst du im Ernst, ich würde sie euch anvertrauen?«
»Wo soll sie dann bleiben?«, giftete er. »Eher lasse ich mich vom Horc verschlingen, als sie hier bei ihren Verwandten zu lassen, wo sie jederzeit weglaufen kann!«
Seufzend schaute Selia zum Haus zurück. »Wir stecken sie in meine Spinnstube. Die hat eine massive Tür, und meinetwegen kannst du die Fensterläden zunageln und einen Bewacher abstellen.«
»Bist du sicher, dass das klug ist?«, fragte Rusco sie und zog eine Augenbraue hoch.
»Grundgütiger Tag!« Selia winkte ab. »Sie ist doch nur ein junges Mädchen!«
»Ein junges Mädchen, das zwei
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