Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
und zwar die Aufrichtigkeit einer jungen Liebe. Ich sprach mit Cobie und sah in Rennas Augen. Zwei erwachsene Menschen wollten aus Liebe heiraten, was ihr gutes Recht ist. Harl hätte sich gegen diese Verbindung nicht sperren dürfen, und ich werde im Licht der Sonne stehen und meine Überzeugung vertreten, dass dieses Blutvergießen mit ihm begann und auch mit ihm endete. Unschuldig.«
    Brine Holzfäller kam als Nächster an die Reihe. Die Stimme dieses Hünen klang ungewöhnlich sanft. »Mir scheint, dass das Mädchen in Notwehr gehandelt hat. Ich weiß, wie es ist, wenn man Dinge sieht, die so entsetzlich sind, dass der Geist sich an einen fernen Ort flüchtet. Als die Horclinge meine Familie töteten, ging es mir ähnlich. Selia hat mir geholfen, wieder ins Leben zurückzufinden, und das Mädchen verdient ebenfalls Unterstützung. Unschuldig.«

    »Unschuldig ist sie ganz sicher nicht«, geiferte Coran Sumpfig. »Die ganze Stadt weiß, dass Renna Gerber eine Sünderin ist und sich Cobie Fischer zur Unzucht angeboten hat. So was kann jeden Mann vor Lust verrückt machen! Wenn sie sich benimmt wie ein Horcling, dann sollten wir sie ihnen leichten Herzens überlassen. Sumpfdämonen haben bessere Menschen als sie geholt, und trotzdem geht jeden Morgen die Sonne auf. Schuldig.«
    Nun war es an Jeorje Südwächter, sein Urteil abzugeben. »Harls Töchter taugen alle nichts. Nur der Gnade des Schöpfers ist es zu verdanken, dass so etwas nicht schon vor fünfzehn Jahren passiert ist, als Ilain einen Fehltritt tat. Schuldig.«
    Raddock Advokat nickte. »Wir alle wissen, dass sie schuldig ist.« Er wandte sich an Rusco.
    »Ein Mädchen an einen Pfahl zu binden, damit die Horclinge sie zerfleischen können, ist barbarisch, ganz gleich, was sie getan hat«, fand Rusco. »Aber wenn das hier so Sitte ist …« Er zuckte mit den Schultern. »Man kann nicht einfach jemanden umbringen. Ich sage, bindet sie an den Pfahl und macht Schluss mit der Sache. Schuldig.«
    »Warte nur ab, ob ich dich nächstes Jahr wieder für Stadtplatz sprechen lassen«, murmelte Selia.
    »Ich bitte um Entschuldigung, Gnädigste, aber ich vertrete die Meinung von Stadtplatz«, entgegnete Rusco. »Die Leute müssen sich sicher fühlen, wenn sie zum Einkaufen in den Ort kommen. Und wenn eine Mörderin frei herumläuft, kann ja wohl kaum von Sicherheit die Rede sein.«
    »Harl war ein alter Griesgram, der sich nur um sich selbst kümmerte«, erklärte Meada Torfstecher. »Ich habe selbst einmal versucht, für Renna eine Ehe zu vermitteln, aber Harl wollte nichts davon wissen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er den jungen Cobie umgebracht hat und Renna dann tat, was sie tun musste, um nicht auch noch von ihm getötet zu werden. Unschuldig.«

    »Aber warum wurde Cobie in die Eier gestochen?«, fragte Coline. »Ich glaube, er hat sie vergewaltigt, und sie kam in die Stadt, um es ihm heimzuzahlen. Stach ihn zwischen die Beine, und dann kämpften sie miteinander, bis sie ihn erledigt hat. Harl muss ihr gefolgt sein, und sie hat ihn von hinten angegriffen. An den Händen des Mädchens klebt Blut, Selia. Sie hätte sich an jeden von uns wenden oder um Hilfe rufen können, aber sie zog es vor, ihre Probleme mit einem Messer zu lösen. Ich sage, sie ist schuldig.«
    Alle Augen richteten sich auf Mack Weide. Da vier Ratsmitglieder mit unschuldig und fünf mit schuldig gestimmt hatten, hing es jetzt von ihm ab, ob es ein Unentschieden oder einen Schuldspruch gab. Eine lange Zeit saß er ganz still da, mit gerunzelter Stirn, das Kinn auf die aneinandergelegten Fingerspitzen gestützt.
    »Alle sagen immer nur ›unschuldig‹ oder ›schuldig‹«, erklärte Mack schließlich. »Aber im Gesetz ist gar nicht die Rede davon. Gerade haben wir es doch gehört. Dort heißt es ›verantwortlich‹. Nun, ich kannte Harl Gerber. Seit vielen Jahren kannte ich ihn, und ich konnte diesen Sohn eines Horclings nicht ausstehen.« Er spuckte auf den Boden. »Aber das heißt noch lange nicht, dass er ein Messer in den Rücken verdient hat. So wie ich es sehe, hat das Mädchen ihrem Dad nicht gehorcht, und jetzt sind zwei Männer tot. Egal, ob sie mit einem Messer zugestoßen hat oder nicht, für das, was geschehen ist, ist sie ›verantwortlich‹, das ist so sicher wie der Sonnenaufgang.«
    Der Schock lähmte Selias Hand, und sie griff nicht nach dem Hammer, der auf dem Tisch lag, obwohl die Abstimmung vorbei war. Jeorje stieß mit seinem Gehstock auf den Boden. »Schuldig, mit

Weitere Kostenlose Bücher