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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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werden. »Arlen aus Tibbets Bach«, platzte er heraus und verwünschte sich im selben Moment für seine Unvorsichtigkeit.
    Elissas Augen leuchteten. »Erzähl mir von Arlen«, bat sie ihn und legte eine Hand auf seinen Arm. »Wir standen uns einmal sehr nahe. Wo hast du ihn das letzte Mal gesehen? Geht es ihm gut? Kannst du ihm eine Botschaft überbringen? Mein Mann und ich zahlen dafür jeden Preis.«
    Als der Tätowierte Mann die verzweifelte Sehnsucht in ihren Augen las, begriff er, wie tief er sie durch sein Fortgehen verletzt hatte. Und nun hatte er ihr dummerweise falsche Hoffnungen gemacht, sie könnte Arlen noch einmal wiedersehen. Aber der Junge, den sie einmal gekannt hatte, lebte nicht mehr, sein Körper und seine Seele waren gestorben. Selbst wenn er seine Kapuze abnahm und ihr die Wahrheit gestand, kehrte er nicht zurück. Es war besser, ihr die Gewissheit zu geben, die sie brauchte.
    »In jener Nacht hat Arlen mir von dir erzählt«, sagte er, als sein Entschluss feststand. »Du bist genauso schön, wie er gesagt hat.«
    Elissa lächelte über das Kompliment, und ihre Augen schimmerten feucht. Doch sie stutzte, als sie sich seine Worte vergegenwärtigt hatte. »In welcher Nacht?«
    »In der Nacht, als ich die Verletzungen erhielt, von denen meine Narben stammen. Wir durchquerten die krasianische Wüste. Arlen starb, damit ich weiterleben konnte.« In gewisser Weise stimmte das sogar.
    Elissa schnappte nach Luft und schlug die Hände vor den Mund. In ihren Augen, die gerade noch vor Freude gestrahlt hatten,
sammelten sich Tränen, und ihr Gesicht verzog sich vor Kummer.
    »Seine letzten Gedanken galten dir, seinen Freunden in Miln, seiner … Familie. Er wollte, dass ich hierherkomme und euch davon berichte.«
    Elissa hörte ihm kaum noch zu. »Oh, Arlen!«, rief sie und taumelte. Der Tätowierte Mann eilte zu ihr, fing sie auf, führte sie zu einer der Werkbänke und setzte sie hin, während sie bitterlich schluchzte.
    »Mutter!«, schrie Marya und kam angerannt. »Mutter, was ist mit dir? Warum weinst du?« Vorwurfsvoll sah sie den Tätowierten Mann an.
    Er kniete vor dem Mädchen nieder, nicht sicher, ob er dem Kind dadurch weniger bedrohlich erscheinen oder ihr die Gelegenheit geben wollte, ihn zu schlagen, wenn ihr der Sinn danach stand. Beinahe wünschte er sich, sie würde ihre Angst und Wut an ihm auslassen. »Leider habe ich ihr schlechte Nachrichten überbracht, Marya«, erklärte er mit sanfter Stimme. »Manchmal gehört es zu den Pflichten eines Kuriers, Leuten etwas zu erzählen, das sie unglücklich macht.«
    Plötzlich starrte Elissa ihn an und hörte abrupt auf zu schluchzen. Sie riss sich zusammen, atmete tief durch, trocknete ihre Tränen mit einer Spitzenmanschette und umarmte ihre Tochter. »Er hat Recht, meine Süße. Aber jetzt geht es mir schon wieder besser. Sei so lieb und geh mit deinem Bruder für ein Weilchen nach hinten.«
    Marya warf dem Tätowierten Mann einen letzten finsteren Blick zu, dann nickte sie, holte ihren kleinen Bruder und verließ mit ihm den Raum. Er sah ihnen hinterher und fühlte sich sehr elend. Er hätte niemals hierherkommen dürfen, hätte einen Mittelsmann schicken oder sich mit seinem Anliegen an einen anderen Bannzeichner wenden müssen, obwohl er niemandem so sehr vertraute wie Cob.

    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dir keinen Kummer bereiten.«
    »Ich weiß«, erwiderte Elissa. »Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. In mancher Hinsicht macht es vieles leichter, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ja, es ist sicher eine Erleichterung«, pflichtete er ihr bei. Er kramte in seiner Tasche, zog einen Packen Briefe heraus und ein Grimoire mit Kampfsiegeln, das in Öltuch eingewickelt und mit einer starken Kordel verschnürt war. »Das alles ist für dich. Arlen wollte, dass du es bekommst.«
    Elissa nahm das Bündel und nickte. »Danke. Hast du vor, lange in Miln zu bleiben? Mein Mann ist gerade nicht zu Hause, aber er hat bestimmt viele Fragen an dich. Arlen war für ihn wie ein Sohn.«
    »Ich bin nur einen Tag lang in der Stadt«, entgegnete er. Ein Gespräch mit Ragen wollte er unbedingt vermeiden. Der würde ihn nach Einzelheiten fragen, auf die er ihm eine Antwort schuldig bleiben musste. »Ich habe eine Botschaft für den Herzog, mache noch ein paar Besuche, und dann bin ich wieder weg.«
    Er wusste, dass er es dabei bewenden lassen sollte, aber der Schaden war bereits angerichtet, und ungewollt kamen ihm die nächsten Worte

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